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085 - Von den Morlos gehetzt

085 - Von den Morlos gehetzt

Titel: 085 - Von den Morlos gehetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
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hörte ihre Schritte nun schon, ohne selbst stehen bleiben zu müssen. Eine Biegung noch, dann sah ich sie plötzlich im Kegel der Taschenlampe vor mir herhumpeln. Ihre Kleider bestanden aus alten, sackartigen Lumpen, das gelblich-weiße und verfilzte Haar wippte bei jedem ihrer Schritte wie ein leuchtendes Erkennungssignal vor mir her.
    Wieder eine Biegung. Eine Eisenleiter führte geradeaus, ächzte unter ihren Füßen.
    „Rob!“ brüllte mein Freund hinter mir. „Kriegst du die alte Hexe?“
    Ich fegte über die Brücke, kam ins Rutschen, fing mich wieder, stolperte weiter. Fünf Schritte noch, drei! Sie gab auf, blieb keuchend stehen und drehte sich um. Auch ich blieb nun stehen. Erst jetzt merkte ich, wie sehr ich meine Lungen strapaziert hatte. Mir war, als müßten sie jeden Augenblick platzen. Daß die Alte diese Hetzjagd ausgehalten hatte!
    „Hier, Ben!“ krächzte ich. „Ich hab sie.“
    Er polterte hinter mir über die Brücke, rutschte ebenfalls aus, fiel fluchend auf den stinkenden Boden und humpelte dann keuchend heran. Als der Schein seines tragbaren Scheinwerfers auf das Gesicht der Alten fiel, wirkte das noch abstoßender und häßlicher, als vor einigen Minuten, als wir es nach dem Öffnen des Deckels zum ersten Mal gesehen hatten. Tausend Falten und Runzeln überzogen die gelbliche, pergamentartige Haut, die Zähne waren lückenhaft und schief. Der böse Blick der Alten traf mich, daß ich zusammenzuckte, als das Licht die funkelnde böse Glut in ihren Augen entfachte.
    „Wo ist Laura?“ rief ich erregt, überwand meinen Ekel und machte einen Schritt auf sie zu.
    Sie wich zurück, glotzte mich mit funkelnden, tückischen Augen an und stieß ein gellendes Lachen aus, das hundertfach aus allen Richtungen zurückschallte.
    Ich umfaßte die Eisenstange fester und machte wieder einen Schritt nach vorne.
    „Ich will wissen, wo Laura ist.“
    Sie kicherte, drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Laura!“ krächzte sie und verzog dabei verächtlich die dünnen, häßlichen Lippen zu einem Grinsen. „Sie war zu neugierig. Zu gefährlich für die Welt des Schattens. Sie kam mit dem Wagen, da habe ich für kurze Zeit ihren Geist verwirrt. Sie kroch ganz alleine zu meinen Freunden in den Kanal, Robert.“
    „Woher – kennen Sie meinen Namen?“ keuchte ich und versuchte die eisige Kälte zu ignorieren, die mir über den Rücken kroch. Höhnisch sah sie mich an.
    „Folge mir, Robert! Dann wirst du sehen, daß wir viele Namen kennen!“ Wieder dieses entsetzliche kehlige Kichern. „Wir kennen die Toten und die Lebenden. Aber die Toten werden namenlos.“
    Zwei Meter trennten uns noch voneinander, und in diesem Augenblick wußte ich, daß ich sie erschlagen würde, wenn sie auch nur eine Bewegung machte …
    „Was suchen Sie hier unten?“ fragte ich mühsam. „Und wer sind Sie?“
    Unbeweglich wie eine Eule glotzte sie mir in die Augen.
    „Früher mußten wir durch die Straßen gehen“, sagte sie und deutete mit der Hand nach oben. „Es war nicht sehr gefährlich, denn die Menschen kannten noch kein gutes Licht. Dann kam das helle Licht und mit ihm diese Gänge. Wenn wir unser Reich verlassen müssen, dann benutzen wir sie.“
    Ganz langsam bewegte ich mich auf sie zu. Sie las wohl in meinem Blick, was kommen würde, versuchte seitlich auszuweichen, aber ich war auf der Hut und riß sie am Arm herum.
    „Zum letzten Mal!“ schrie ich sie an.
    „Wo ist Laura?“
    Sie stieß einen hellen, quiekenden Schrei aus, dann brach der Körper wie eine leblose Marionette vor meinen Füßen zusammen. Ben sprang herbei, leuchtete auf die Alte hinab. Tote, glasige Augen. Einer Ohnmacht nahe ließ ich den Arm los, den ich immer noch umklammert hielt.
    „Wie konnte das passieren?“ sagte ich zitternd. „Sie war doch eben noch völlig normal!“
    Ben ging in die Knie, griff nach ihrem Handgelenk und zuckte zurück. Seine Stimme klang hohl, als er sagte: „Sie ist kalt wie ein Eisklotz, Rob. Und genauso starr. Dieser Körper muß schon tagelang tot sein.“
    „Aber – sie hat doch eben noch gelebt.“
    „Vielleicht wurde der Körper von einem Geist beherrscht. Und dieser Geist hat den nutzlos gewordenen Körper soeben verlassen.“
    Ich sah fassungslos auf die verkrümmte Gestalt zu meinen Füßen hinab.
    „Claire M. Benneth!“ sagte ich gepreßt. „Dann hattest du also doch recht.“
    „Ich weiß nicht, Rob.“ Ben ließ den hellen Lichtkegel der Lampe langsam umherkreisen. Leere, nichts

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