0852 - Feuer, Asche, altes Blut
Mittagspause gegangen. Sie hatte das Hinausstürmen ihrer drei Freunde erlebt und auch noch eine kurze Frage gestellt.
»Es brennt!« hatte ihr John nur zugerufen.
»Also geht es weiter.« Glenda schüttelte den Kopf. Sie hatte das Gefühl, im Büro bleiben zu müssen und bat eine Kollegin, ihr einen Salat mitzubringen.
Glenda stellte das Radio an. Es gab ja zahlreiche Lokalsender, die immer schnell mit ihren Berichten über ungewöhnliche Vorfälle zur Stelle waren. Auch in diesem Fall hatte sie Glück. Ein Sender berichtete über einen Brand in einem Café nahe des Piccadilly.
Sie stellte den Ton lauter und hörte zu. Auf ihren Handflächen hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, und sie spürte auch, wie sich ihr Magen zusammenzog. Nervös huschte die Zunge zwischen den Lippen hervor und zeichnete den Umriß des Mundes nach. Die Hände hielt sie zu Fäusten geballt, und so lauschte sie jedem Wort.
Der Sprecher gehörte leider zu der Sorte von Schwätzern, die eine bestimmte Sendezeit füllen mußten, auch wenn es noch keine direkten Fakten gab. So erging der Mann sich in Vermutungen, was Ursache, Verletzte und Tote betraf, aber konkret werden konnte er nicht.
Er versprach aber, sich wieder zu melden.
Glenda drehte den Ton leiser – und ein leiser Schrei löste sich aus ihrem Mund.
Von ihr ungehört und ungesehen war Sir James in das Büro gekommen. Er stand sogar ziemlich dicht neben ihr und schaute auf ihr dunkles Haar herunter.
»Sie haben mich erschreckt, Sir.«
Der Superintendent deutete auf das Radio. »Und Sie haben interessiert zugehört.«
»Stimmt.«
Sir James räusperte sich. »Wieder ein Brand?« erkundigte er sich.
»Ja.«
»Wo?«
»Es muß der sein, zu dem Jane, John und Suko hin unterwegs sind. Ein Café nicht weit vom Piccadilly weg. Sieht wohl sehr böse aus, wenn man den Worten des Sprechers traut. Obwohl der Knabe im Prinzip nicht viel gesagt hat.«
Sir James nickte. »Es geht also weiter.«
»Leider, Sir.«
»Es ist der sechste Brand, Glenda. Ich frage mich, wer so etwas tut.«
»Jane Collins hat da gewisse Vermutungen geäußert, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Ja, das stimmt. Zeugen sprachen von einem gelbhaarigen Mann mit sehr seltsamen Zähnen.«
»Ein Vampir.«
»Der Feuer ausstrahlt?« Die Stimme des Mannes hatte sehr skeptisch geklungen.
Glenda hob die Schultern. »Wissen Sie denn, Sir, was alles möglich ist? Was sich unsere Gegner an Nettigkeiten einfallen lassen? Ich habe es aufgegeben, darüber nachzudenken. Es bringt nichts. Man muß die Tatsachen hinnehmen. Das ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, um nicht verrückt zu werden.«
Sir James Powell lächelte. »Da könnten Sie recht haben, Glenda. Falls sich etwas Neues ergibt und Sie als erste informiert werden, Sie finden mich in meinem Büro.«
»Geht in Ordnung, Sir.«
Der Superintendent verließ das Büro, und Glenda konnte sich endlich um ihren Salat kümmern.
Sir James aber ging sehr nachdenklich über den Flur. Er war ein sehr rational denkender Mann, trotz seiner ungewöhnlichen Aufgabe. Er schaffte es auch für sich, in hoch komplizierte Fälle eine gewisse Logik hineinzubekommen, in diesem Fall aber fiel ihm das nicht nur schwer, es war sogar unmöglich. Er sah kein Motiv für die Brände, abgesehen davon, daß sich jemand einen Spaß daraus machte, das Chaos zu produzieren, um Menschen zu verletzen oder verbrennen zu sehen. Ansonsten stolperte er über diese Tatsache, daß der Brandstifter ein Vampir gewesen sein sollte. Ein Blutsauger, der mitten im Feuer stand und dabei nicht verbrannte. So etwas wollte nicht in seinen Kopf, und Sir James dachte auch an einen kollektiven Irrtum der Zeugen. Diese Möglichkeit sah er allerdings nur als sehr vage an.
Er öffnete seine Bürotür und betrat ein Zimmer, das ziemlich düster war. Er konnte durch die Scheibe schauen. Der Himmel über London war eine einzige, graue Wolkenfläche, und das Grau wiederholte sich auch in den Schluchten der Straßen. So trist diese Farbe auch war, er mochte sie mehr als das feurige Rot der Flammen, die aus irgendwelchen Dächern hervorschlugen.
Hoffentlich fanden Sinclair und Suko eine Spur. Wenn dieser Flammenteufel noch weitere Brände legte, konnte in London leicht eine Panik entstehen, denn wer sollte sich da noch sicher fühlen?
Sir James nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Jane Collins hatte ihm Fotokopien ihrer Unterlagen überlassen. Doch er fragte sich, ob es überhaupt einen Sinn
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