0853 - Die vier aus der Totenwelt
den Händen. Alida Wayne lag länger wach als ihr Mann. Sie merkte an seinen Reaktionen, wie müde er wurde. Die Worte drangen nicht mehr so klar über seine Lippen. Sie glichen einem Gemurmel und waren kaum noch zu verstehen, und sie spürte auch, wie der Druck seiner Hand sich immer mehr abschwächte und schließlich überhaupt nicht mehr vorhanden war. Ein Zeichen dafür, daß Fred jetzt entspannt war und schlief.
Im Gegensatz zu ihr.
Wach, nicht hellwach, lag sie auf dem Rücken. Sie kam sich selbst vor wie von einem dichten Kokon umgarnt. Sie wollte schlafen, nur hatte sie nicht die innere Ruhe. Es gelang ihr, auf die Uhr mit der digitalen Anzeige zu schielen. Nur war Mitternacht nicht erreicht, aber die Tageswende würde in wenigen Minuten kommen.
Das Schlafzimmer war sehr geräumig. Ohne die Bewegungsfreiheit zu stören, paßte sich der begehbare Kleiderschrank an. Zwei Fenster ließen tagsüber das Licht in den Raum fließen. In der Nacht waren die Vorhänge vorgezogen, und die beiden Rechtecke malten sich nur mehr schattenhaft ab.
Alida hatte ihren Mann nicht belogen. In den letzten Tagen hatten die nächtlichen und traumatischen Erlebnisse tatsächlich zugenommen. Nelly und Jimmy waren aus einer anderen Welt in dieses Zimmer gedrungen und hatten mit ihr Kontakt aufnehmen wollen. Sie waren wie Nebelstreifen oder wie luftige Gardinen am Fußende der Betthälften entlanggehuscht, hatten ihre Mutter dabei angeschaut, und ihr war auch das Flehen in den Augen nicht entgangen, obwohl man bei ihnen nicht mehr von normalen Augen sprechen konnte. Da war etwas anderes in ihren Gesichtern. Der Frau fehlte das passende Wort, um es zu beschreiben.
Sie wußte genau, daß ihre beiden Kinder in dieser Nacht wieder erscheinen würden. Es war einfach das Wissen einer Mutter, die stark mit den Kindern verwachsen war. Jetzt lag sie da und wartete darauf, ob und wie es geschehen würde.
Vielleicht im Traum? Möglicherweise in einem Zustand der Trance? Sie hatte keine Ahnung. Begonnen hatte es im Traum, aber da waren diese Gestalten nur sehr schwach gewesen. Später hatten sie sich dann verstärkt, doch da war dann Alidas Traum schwächer geworden. Sie konnte nicht sagen, ob sich Traum und Realität miteinander vermischt hatten. Zu viele Fragen standen noch offen.
Und jetzt wartete sie.
Minuten verrannen. Die Tageswende war längst überschritten.
Nichts passierte mehr. Das Zimmer blieb ruhig, und auch Alida schaffte es nicht, so wach zu bleiben, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Sie sackte plötzlich weg, als wäre die Matratze unter ihr verschwunden. Eine tiefe Grube fing sie auf, und gleichzeitig schaffte sie es nicht, die Augen zu schließen.
Mit noch immer offenen Augen blieb sie in einem Zustand liegen, der zwischen Wachsein und Traum dahindämmerte.
Bei ihr kreuzten sich das Bewußtsein und das Unterbewußtsein, denn aus letzterem stiegen wieder die Bilder hervor, die sie schon öfter gesehen hatte.
Da waren ihre Kinder, wie sie fröhlich spielten, wie sie dann größer wurden, wie es zu den Problemen in der Pubertät kam, wie auch die überwunden worden waren, wie sie die Schule endlich hinter sich gebracht hatten, und wie es dann zu den Verbindungen mit den Travers-Kindern gekommen war.
Da war aus Freundschaft Liebe geworden, und so etwas fand man wirklich selten.
Und nun?
Es fiel Alida nicht auf, daß sie weinte, nur an ihren Wangen waren die feuchten Streifen zu sehen, die Tränenkugeln hinterlassen hatten. Wo waren ihre Kinder jetzt, und was waren sie?
Sie hatten diese Welt verlassen, sie waren hineingetaucht in eine andere Sphäre, sie erlebten jetzt das Jenseits, von dem viele berichtet hatten und über das auch so oft geschrieben worden war. Mal als Himmel, mal als Hölle bezeichnet.
All das schoß der Frau durch den Kopf, ohne daß sie eine Lösung fand. Sie spürte nur, wie die andere Kraft immer stärker wurde. Der Kokon um ihren Körper verdichtete sich, und die fremde Macht war dabei, sie in ihre Welt zu locken.
Etwas Kaltes streifte ihr Gesicht!
Alida Wayne schrak zusammen. Sie bewegte sich ansonsten nicht, blieb starr liegen, doch sie wußte, daß es der Anfang war. Schon mehrmals hatte sie die gleiche Situation erlebt, und es wäre jetzt für sie an der Zeit gewesen, ihr Versprechen einzulösen und Fred zu wecken. So gern sie dies auch getan hätte, es war ihr nicht möglich, denn sie konnte sich einfach nicht bewegen. Die Befehle des Gehirns wurden nicht weitergegeben, und so blieb sie
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