0854 - Jäger der verlorenen Seelen
von einer Gestalt bedroht, die halb Mensch und halb Skelett war. Kannst du dir das vorstellen?« Sie war aufgeregt, atmete heftig und hängte sich bei mir ein.
Ich blickte in das Gesicht meines Vaters. Er hatte die letzten Worte gehört und war blaß geworden.
»Warum sagst du nichts?«
»Mutter, bitte. Wir wollen nicht hier auf der Straße reden. Kann ich denn mit Gordon Travers sprechen?«
»Sicher, er liegt nur. Er ist umgeknickt, als er von der Leiter sprang.«
»Wo müssen wir hin?«
»Er liegt in einem kleinen Raum, wo auch die Mitarbeiter manchmal ihre Pausen verbringen. Kate ist bei ihm.«
»Dann laß uns gehen.«
Mein Vater schloß sich uns an.
***
Es war meine Mutter, die erst gegen die schmale Tür klopfte und dann öffnete.
Der Raum war wirklich nicht groß, mehr eine Kammer. Ein Fenster mit Milchglaseinsatz ließ kaum Licht hindurch. Aber es gab dort eine Liege, drei Stühle, einen schmalen Tisch, ein Waschbecken, eine Kaffeemaschine und einen schmalen Spind.
Auf der Liege lag Gordon Travers. Sein rechtes Bein war in Höhe des Knöchels mit einem Zinkleinenverband umwickelt worden. Er hatte dort sein Hosenbein aufgeschnitten und trug noch immer die Arbeitskleidung, einen blauen Overall.
Kate Travers saß neben dem Bett auf einem Stuhl und wußte nicht, wohin sie sehen sollte. Mal blickte sie ihren Mann an, dann richtete sie die Augen auf uns, denn urplötzlich war es in dem Raum voll geworden.
»Ich habe meinen Sohn mitgebracht«, sagte Mary und lächelte.
»Zum Glück sind er und mein Mann so früh zurückgekehrt.«
»Ja, danke«, flüsterte Kate Travers und nickte. »Das ist sehr gut.«
Sie strich eine Haarsträhne aus der Stirn. Auch ihr war die Furcht anzusehen. Das Gesicht hatte die gesunde Farbe verloren. Es wirkte bleich wie eine Wand.
Gordon Travers grinste verzerrt, als ich ebenfalls auf einem Stuhl meinen Platz fand. Er war ein kräftiger Mann mit dünnen, blonden Haaren, die streng nach vorn gekämmt waren.
Ich hatte die beiden Ehepaare kennengelernt und mir ihre Geschichten angehört. Dabei hatte ich nicht den Eindruck gewonnen, es mit Spinnern zu tun zu haben. Sie waren ehrliche, bodenständige Leute, die von dem plötzlichen Grauen überrascht worden waren.
»Ich lebe noch, Mr. Sinclair.«
»Das sehe ich.«
»Aber es hätte auch anders ablaufen können.«
»Um das zu erfahren, bin ich ja hier.«
Er versuchte es mit einem Lächeln. Dann zeigte er auf seine Kehle und flüsterte: »Es ist alles rauh. Wahrscheinlich von dem Schock.«
Er räusperte sich und legte eine Hand auf die seiner Frau. »Bitte, Kate könntest du mir einen Schluck holen?«
»Whisky?«
»Ja.«
»Zu dieser Zeit?« Sie sah mich an, als wollte sie auch von mir eine Zustimmung erhalten.
»Es wird nicht schaden«, sagte ich.
»Wenn Sie das sagen.« Kate Travers stand auf und verließ den Raum. Sie kehrte sehr schnell zurück. Die Flasche und gleich mehrere Gläser hatte sie mitgebracht, wir aber lehnten ab. Dafür genehmigte sich Gordon einen Doppelten.
Er hatte sich so gut wie möglich aufgerichtet, stellte das Glas halbleer zur, Seite und sagte, wobei er den Kopf schüttelte: »Was mir passiert ist, das kann ich nicht jedem erzählen. Das ist unglaublich, einfach der reine Wahnsinn.«
Seine Frau nickte und flüsterte: »Ehrlich gesagt, auch ich komme damit nicht zurecht.«
»Am besten ist, wenn Sie jetzt alles erzählen«, schlug ich vor. »Da ist die Erinnerung noch frisch.«
Er tat es, mußte aber zuvor einen Schluck nehmen. Als Gordon Travers dann redete, wurde es sehr still in diesem kleinen Raum.
Wir hörten gespannt zu. Seiner Stimme war anzuhören, daß er die Erlebnisse noch längst nicht verkraftet hatte. Immer wieder geriet er ins Stocken, suchte nach den passenden Worten und strich auch den Schweiß von seinem Gesicht. Zum Schluß griff er nach der Hand meiner Mutter und drückte sie fest. »Ihnen, Mrs. Sinclair, habe ich mein Leben zu verdanken. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätte mich dieses Tier bestimmt umgebracht.«
»Ich war eben etwas neugierig.«
»Zum Glück.«
Natürlich war der Fall nach Beendigung des Berichts nicht klar.
Neue Fragen hatten sich aufgetürmt, und ich stellte die dringendste.
»Sie gehen also davon aus, daß diese Gestalt sie ermorden wollte, Mr. Travers?«
»Ja, so ist es.«
»Können Sie sich einen Grund vorstellen?«
»Nein, das kann ich nicht. Ich kann mir überhaupt nichts vorstellen. Ich weiß auch nicht, wieso mir meine Kinder als
Weitere Kostenlose Bücher