0854 - Jäger der verlorenen Seelen
erschienen – halb Mensch und halb Skelett –, die sie aus dem Wasser geholt hatte. Aber nicht, um die Menschen zu retten, nein, sie waren von ihrem angeblichen Retter lebendig begraben worden.
Und genau diese vier Gräber hatte mein Vater entdeckt, während ich auf dem See gewesen war.
Wir waren dann noch einen Schritt weiter gegangen und hatten mit einem Spaten die Erde von einem der Gräber weggeschaufelt.
Dabei hatten wir dann tatsächlich den toten jungen Mann gesehen, und dieses in der Erde liegende Gesicht würde ich nie vergessen.
Mein Vater und ich hatten darauf verzichtet, auch die restlichen drei Gräber zu öffnen, weil wir davon ausgegangen waren, doch nur das gleiche zu finden.
Für uns hatte es keinen Sinn mehr ergeben, noch länger in der Nähe des kleinen Sees zu bleiben. Also waren wir wieder in den Wagen gestiegen und abgefahren.
Die schottische Landschaft umgab uns wie eine mächtige Kulisse.
Die fernen Berge zeichneten sich in der klaren Luft sehr deutlich ab.
Es war ein wunderbarer Frühlingstag, in der Sonne warm, im Schatten etwas kühl, nur machte uns das überhaupt nichts. Keiner von uns konnte sich über das Wetter freuen, zu tief saßen die Gedanken fest, und wir wußten auch, daß dieser Fall noch längst nicht sein Ende gefunden hatte. Meine Gedanken kreisten mehr um die Gestalt, die diese vier jungen Menschen endgültig getötet hatte.
Ich kannte den Mann.
In der letzten Nacht hatte er versucht, mich mit einer Gartenschere an einen Baumstamm zu nageln. Es war ihm nicht gelungen, und ich hatte viel Glück gehabt.
Ich kannte seinen Namen nicht. Ich wußte zwar, wie er aussah, wußte aber nicht, wo er herkam und welche Hölle ihn letztendlich ausgespieen hatte.
Aber er war die Schlüsselperson in diesem schaurigen Drama.
Was trieb eine Gestalt dazu, Menschen bei lebendigem Leib zu begraben? Auch wenn ich nur darüber nachdachte, kriegte ich schon eine Gänsehaut. Bei derartigen Gedanken erinnerte ich mich immer daran, daß man auch mich vor Jahren schon einmal lebendig begraben hatte. Es war so furchtbar gewesen, in einem Sarg zu liegen und die tonnenschwere Erde über sich zu wissen, daß ich derartiges selbst meinem schlimmsten Feind nicht gönnte, abgesehen von irgendwelchen Dämonen.
Aus irgendeinem Grund hatte ich es eilig. Ich spürte, daß wir in Lauder gebraucht wurden, und ich fuhr dementsprechend schnell, wenn auch nicht riskant. Ich holte alles aus dem Wagen heraus, was die oft engen Kurven zuließen.
Mein alter Herr gab keinen Kommentar ab. Hin und wieder nur warf er mir einen etwas nachdenklichen Blick zu, doch er enthielt sich eines Kommentars.
Schmale Straßenführungen erlaubten nur eine bestimmte Geschwindigkeit. Das änderte sich bald, als wir auf eine breite Fahrbahn einbogen. Dort herrschte auch mehr Betrieb. Sogar die ersten Wohnwagen waren schon unterwegs. Das schöne Frühlingswetter lockte die Menschen aus den Häusern, und die Touristen hatten den Weg ebenfalls in die schottischen Berge gefunden.
»Dir ist nicht eingefallen, Vater, ob du diese Person möglicherweise kennst?«
»Tut mir leid – nein.« Er schaute aus dem Fenster und fragte dann:
»Wie kommst du darauf, daß ich sie kennen könnte?«
Ich hob die Schultern. »Ich dachte daran, daß dieser Unhold die Gegend hier unsicher gemacht hat. Daß er nicht zum erstenmal erschienen ist. Ich könnte mir vorstellen, daß er eine Geschichte hat. Es gibt nichts ohne Motiv.«
»Das weiß ich, John. Lange genug war ich Anwalt. Aber da haben wir in London gelebt und nicht hier oben in Schottland.«
»Was willst du damit sagen?«
»Daß ich nicht über alles informiert bin, was es in Lauder und Umgebung an rätselhaften Vorgängen gegeben hat. Du kannst mit deiner Theorie durchaus recht haben, aber du mußt auch ins Kalkül mit einbeziehen, daß es Vorgänge oder Motive gibt, die länger zurückliegen. Da haben wir an einen Umzug nach Lauder noch gar nicht gedacht.«
»Das kann stimmen.« Vor uns zuckelte einer dieser Wohnwagen über das graue Band der Straße. Ich wollte an ihm vorbei, wartete auf eine günstige Gelegenheit und gab dann Gas.
Vor dem Gegenverkehr scherte ich wieder links ein und grinste meinem Vater zu, auf dessen Stirn einige Schweißperlen dank meiner Fahrweise schimmerten.
»Autofahren kannst du ja.«
»Man gewöhnt sich daran.«
Er nickte und kam wieder zum Thema. »Ich denke auch darüber nach, in welch einer Verbindung die vier ertrunkenen jungen Leute zu einem
Weitere Kostenlose Bücher