0855 - Spektrum des Geistes
war.
Einmal horte er ihn in einer Erlebnis-Rekonstruktion seiner Mutter sogar sprechen.
Er sagte: „Ich werde dafür sorgen, daß Bran seinen Weg macht."
Bran schämte sich seiner selbst, daß er seiner Mutter nachspionierte. Aber seine Neugier war stärker als die Scham. Schließlich wußte er aus seinem Dilemma keinen anderen Ausweg mehr, als seine Mutter zur Rede zu stellen. Er sagte ihr auf den Kopf zu: „Der dünne Albino war wieder da!"
„Wovon redest du, Bran?"
Da brach es aus ihm heraus. Schluchzend berichtete er, daß er aus ihren Emotionen genau herauslesen konnte, wo und wie sie die letzte Stunde verbracht hatte, und daß sie sich mit dem Unheimlichen verschworen hatte, der ihn schon an seiner Wiege heimge-sucht.
Sie wußte darauf nur zu sagen, daß er das alles falsch sehe, und sie weinte mit ihm, und schließlich bat sie ihn, seinem Vater von diesen Zusammenkünften nichts zu erzählen.
„Er meint es gut mit dir, Bran. Er weiß, was das Beste für dich ist", versicherte sie.
In der Folgezeit wurde sie vorsichtiger. Entweder sie kam mit dem „dünnen Albino" nicht mehr zusammen, oder sie ließ nach den Treffen genug Zeit verstreichen, so daß Bran nicht mehr in der Lage war, diese zu rekonstruktuieren. Damals - er war gerade zehn - konnte er die Gefühlsschwingungen anderer nur eine knappe Stunde zurückverfolgen.
Das reichte jedoch aus, daß er seine unselige Veranlagung zu verwünschen begann, ja, manchmal sogar zu hassen lernte. Das entscheidende Erlebnis hatte er an seinem zehn-ten Geburtstag.
Sein Vater war extra von der Südspitze des Kontinents nach Soltown gekommen, um mit seiner Familie zu feiern. Bran vergaß beim Auspacken der Geschenke all sein Unglück. Er war bald so sehr in sein Spiel vertieft, daß er das Verschwinden seiner Eltern nicht bemerkte.
Er wußte nicht einmal, wie viel Zeit verstrichen war, bis seine Mutter mit verklärtem Blick und leicht geröteten Wangen zurückkam. Sie kniete neben ihm nieder, als sei nichts ge-wesen, und sagte irgend etwas. Sie sprach recht atemlos, und das war es, was Brans Verdacht erregte.
„Wo warst du?" fragte er.
„Ich habe deinem Vater beim Auspacken geholfen", antwortete sie.
Er schaute sie nur an und wußte es besser. Er sah häßliche abstoßende Bilder.
„Lüge! Lüge!" schrie er. „Ihr habt gerauft und euch geküßt!"
Zimbat, der gerade hereinkam, erstarrte.
„Was redest du da, mein Junge?" fragte er erschüttert.
„Ich weiß, wovon ich rede", schrie Bran in seinem Schmerz. „Ihr könnt mir nichts vorma-chen, denn ich durchschaue euch. Eure Gedanken und Gefühle verraten mir, was ihr ge-rade..."
Bran verstummte schuldbewußt, aber es war bereits zu spät. Eine ernste Aussprache zwischen seinen Eltern folgte. Bran rekonstruierte später ihr Gespräch fragmenthaft.
Mutter: „Ich weiß schon längst, daß er anders als andere Jungen in seinem Alter ist.
Manchmal wurde er mir geradezu unheimlich, wenn ich mich einer Notlüge bediente, und er mich entlarvte."
Vater: „Es ist nicht bedenklich. Er scheint eine parapsychische Begabung zu haben, der Telepathie nicht unähnlich. Wir sollten sein Talent fördern."
Mutter: „Wie meinst du das?"
Vater: „Wir werden einen Parapsychologen hinzuziehen. Er soll ihn testen. Ich werde mich mal erkundigen. Aber es ist besser, wenn Bran nichts davon erfährt."
Bran erfuhr davon, und er erfuhr auch dank seiner Gabe, die sein Vater immer noch un-terschätzte, wann der Test stattfinden sollte. Bran erfuhr noch mehr. Sein Vater verriet ihm ungewollt, welcherart die Tests waren, und auf diese Weise wußte Bran, wie er sich verhalten sollte.
Vater: „Der Parapsychologe hat mir gesagt, daß es besser ist, Bran völlig im unklaren darüber zu lassen, was mit ihm passieren soll. Wenn Bran informiert ist, könnte er so auf-geregt sein, daß ein PSI-missing-Effekt auftritt, seine Gabe also nicht zum Tragen kommt."
Mutter: „Ich habe Angst, Zimbat."
Vater: „Lächerlich. Bran wird glauben, daß er routinemäßige Schultests über sich ergehen lassen muß. Man wird ihn zwanglos in einer Gesprächsrunde aufnehmen. Es wird alles wie ein harmloses Gespräch aussehen. Dabei werden die Teilnehmer gelegentlich bewußt lügen, falsche Angaben machen, etwa über ihre Handlungen vor der Diskussion.
Wenn Bran ein Telepath oder Empath ist, dann wird er die Wahrheit erkennen und dies dem Tester durch Fangfragen verraten."
Bran war also vorbereitet. Und er wußte, was er zu tun hatte. Als es
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