0856 - Leas Hexenladen
Lea, sie kam damit gut zurecht, und sie redete nach einer gewissen Weile der Eingewöhnung auch lauter.
Dann lachte sie kichernd.
Die Zunge fuhr aus dem Mund, als wollte sie an der Flamme lecken, und sie schaute in das Wasserglas, auf dessen Oberfläche sich der Lichtschein festgesetzt hatte.
Es war ein Weg.
Es war genau der Weg oder das Tor in die Welt, die Lea so liebte. Es war die Chance der Vergangenheit, und es war der wahre Blick in den Kosmos hinein.
Sie sah ein Gesicht.
Aus zahlreichen Schlieren setzte es sich zusammen. Es tanzte auf der Oberfläche und war schon aus Prinzip eine schaurige Fratze, aber durch die leichten Wellen wurde es noch stärker verzerrt.
Es war ein Gesicht, eine Botschaft, ein Blick ins Nirgendwo und trotzdem mit einem konkreten Ziel.
Lea leckte ihre Lippen. Sie lächelte plötzlich. Die Haut an der Stirn hatte sich in die Höhe gezogen, war aber faltig geworden und lag nicht glatt an.
Mit beiden Händen umfaßte sie das Glas. Es war nicht mehr so kalt wie sonst. Seine Fläche hatte sich erwärmt, was einzig und allein an der Flüssigkeit lag.
Sie war einzig und allein auf das Glas mit der Kerze konzentriert und schaute nicht zurück, obwohl sich die Hintertür klammheimlich geöffnet hatte.
Lea wußte auch nicht, wieviel Zeit vergangen war. Stunden, Minuten - was interessierte sie das schon? Ihr Interesse galt einzig und allein dem Inhalt des Glases.
Drei Gestalten schoben sich in den Raum.
Unheimlich anzusehen in ihren langen Kutten und den Kapuzen, die sie über den Kopf gestreift hatten, so daß nur die Gesichter noch freiblieben. Keine jungen Gesichter, dafür eine Haut, die von Falten und Runzeln gezeichnet worden war. Die alten Frauen kannten sich gut aus. Sie kamen näher. Zwei von ihnen hielten Kerzen in den Händen. Rechts und links neben Lea blieben sie stehen.
Die Hexe ächzte. Sie wußte, daß sie Besuch bekommen hatte. Ihre Haare sträubten sich. Mit dem zitternden Zeigefinger deutete sie auf das Glas. »Es ist der Rest«, sagte sie. »Es ist der Rest. Mehr habe ich nicht. Wir werden ihn trinken und noch einmal die Frische der Jugend genießen. Und ich werde endlich dazu kommen, mein Versprechen einzulösen. Was danach geschieht, weiß ich nicht. Es ist mir nicht bekannt, ob mich die alten Keltengötter noch einmal erhören werden, aber ich glaube es nicht. So macht euch darauf gefaßt, daß ihr diesen Trank mit mir ein letztes Mal teilen werdet.«
»Wir werden bei dir bleiben«, murmelte das Weib in der Mitte.
»Das muß auch sein. Unsere Feinde sind stark!« Nach diesen Worten hob Lea das Glas an.
Die schwere Flüssigkeit schwappte dem Rand entgegen. Sie war wie ein durchsichtiger Sirup, und in ihrem Innern zeichneten sich noch immer Teile des Gesichts ab.
Ein Maul war ebenso zu sehen wie eine Nase und eine Stirn. Doch alles zerfloß, wurde zu einem Spiel der düsteren Farben, als Lea das Glas an ihre Unterlippe setzte.
Die Flüssigkeit rann nach vorn - und in ihren Mund. Sie schmeckte die bittere Süße, es war wie immer. Sie trank mit einer Gier, die schon nicht mehr normal war. Halbleer setzte sie das Glas ab.
Dann stöhnte sie, lehnte sich auf dem Stuhl zurück, erstarrte für einen Moment, um über den Schreibtisch hinwegzuschauen. Schließlich stemmte sie ihre Fäuste auf die Platte. »Einer ist tot«, sagte sie. »Bei einem habe ich mein Versprechen eingehalten. Aber es ist noch jemand übrig, und ich werde ihn ebenfalls vernichten, zusammen mit euch, meine lieben Freundinnen.«
Sie drehte sich zur Seite, die Beine schwangen mit und fanden rechts neben dem Stuhl auf dem Boden Halt. Mit ruckartigen Bewegungen stand Lea auf. Sie schwankte, hielt sich wieder am Tisch fest und drehte dabei den Kopf.
Sie schaute ihre drei Helferinnen an.
»Es ist noch etwas da!« sagte sie und ging weg. »Trinkt es aus. Leert das Glas…«
Sie stolperte auf ein Regal zu und hielt sich daran fest. Ihr Körper zuckte. Leise Schreie drangen aus ihrem Mund, dann bekam sie einen Schlag, konnte sich nicht mehr halten und schlug auf dem Rücken auf. Sie landete mit einem harten Aufprall, was ihr weiter nichts ausmachte, auf dem Boden, rollte sich herum, und wieder begann die Verwandlung, nur in die umgekehrte Richtung, denn aus der alten Frau wurde wieder ein junges Weib.
Zuckend, um sich schlagend und tretend erlebte sie diese unerklärliche Magie. Sie lachte mal irr, dann keuchte sie wieder, stöhnte oder preßte die Hände gegen ihren Leib.
Ihre drei Helferinnen
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