0857 - Die Schnitterin
ahnungslos, und wenn Slater schon einen Plan gefaßt hatte, dann würde er ihn auch ausführen, das stand fest. Er würde jedes Hindernis aus dem Weg räumen, das ihn auf seinem Weg zum Ziel störte.
Wo lag das Ziel? Wie hieß es?
Die Vernichtung einer bestimmten Person. Derjenigen, die noch einmal gefährlich werden konnte.
Also Amy Brundage, die Totenfrau!
In meinem Magen wurde es klamm und eng. Sie wollte also, daß ich mich auf ihre Seite stellte und ihr dabei half, den letzten der Dämonen des Himmels zu töten. Sie war bereits auf ihre Art und Weise getötet worden. Die Dämonen des Himmels hatten sie in ihrer irdischen Gestalt im weißen Feuer verbrannt. Deshalb war sie geschwächt und konnte nur bedingt eingreifen, aber die Liebe zu ihrem toten Mann hatte sie nicht ruhen lassen. Aus ihrer Sphäre kehrte sie immer wieder zurück.
Ich hatte die drei Ärzte vergessen. Es gab nur Amy und mich, und der Blick ihrer Augen.
»Wir müssen schnell sein«, sagte sie.
»Aber es ist weit…«
»Komm zu mir!«
Es war eine schlichte Aufforderung. Ich ahnte schon, daß ich mit Kräften in Berührung kommen würde, die unerklärlich waren, denn ich würde sehr bald in ihre Aura geraten.
Sechs Augen schauten mir zu, als ich durch den kalten Obduktionsraum ging. Je näher ich der Totenfrau kam, um so mehr spürte ich ihre Ausstrahlung, die sich besonders auf einen Punkt an meinem Körper konzentrierte, auf das Kreuz.
Und auch dort machte diese Strahlung noch Unterschiede, denn besonders stark war sie an den Enden, wo die vier Erzengel ihre Insignien hinterlassen hatten.
Zwar berührten meine Füße noch den kalten Steinboden, ich selbst jedoch kam mir vor, als würde ich darüber hinwegschweben und wie ein Geist auf die Person zugleiten.
Die Umgebung verschwamm. Die Menschen nahm ich sowieso nicht wahr, weil sie sich in meinem Rücken befanden. Ich hatte nur Augen für die geheimnisvolle bleiche Totenfrau.
»Du wirst der Henker des letzten Dämons sein!« versprach sie mir und streckte mir ihre linke Hand entgegen. Mit der rechten hielt sie den Griff der Sense fest.
Zum erstenmal berührte ich sie.
Von der Kälte ihrer rauhen Haut war ich überrascht. Sie war auch nicht feucht, sondern sehr trocken. Es kam mir kaum in den Sinn, daß ich eine Hand festhielt. Mir kamen die Finger vor, als bestünden sie aus Holz, das lange in einem Kühlschrank gelegen hatte.
Das Gesicht sah ich aus unmittelbarer Nähe. Erst jetzt erkannte ich richtig diesen ungemein traurigen Ausdruck in den Zügen.
Meiner Ansicht nach hatte er sich sogar manifestiert und sich als dünnes Faltenmuster hineingegraben.
Sie lächelte.
Auch sehr traurig, zugleich etwas hoffnungsvoll. In den Pupillen schimmerte ein ungewöhnliches Licht, das mir sehr hell vorkam.
Punktuell konzentriert.
»Du weißt, wo er sich aufhält?« fragte ich sie.
»Ja. Und ich spüre auch, welche Macht du an deinem Körper trägst. Diese und meine werden sich vereinigen. Wir brauchen nicht viel Zeit, wir brauchen gar nichts. Jetzt…«
Zwei Dinge geschahen gleichzeitig.
Das Brennen auf meiner Brust stammte vom Kreuz. Das Licht in den Augen verwandelte sich in zwei Sonnen. Es packte mich, hüllte mich ein, und es verband sich vor meiner Brust mit der Kraft des geweihten Talismans. Daß dies überhaupt passieren konnte, gab mir die Gewißheit, auf welcher Seite Amy stand.
Etwas packte mich.
Etwas riß mich weg.
Der Strudel aus Licht und gleißenden Flammen war um mich, als hätte ich das Kreuz aktiviert.
Ich hörte noch die Stimme der Ärztin Eve Brandon. »Das glaube ich nicht. Das kann ich nicht begreifen. Das… das … gibt es doch nicht, mein Gott …«
Die Stimme versickerte. Die Worte schwächten sich ab. Sie drangen hinein wie in eine tiefe Röhre, die ins Unendliche führte und schließlich alles verschluckte.
Auch uns…
***
Suko hatte es nicht geschafft, den Mund rechtzeitig genug zu schließen. Er hatte Wasser geschluckt, und er hatte wenig später seine Hände in den schlammigen Grund des Teichs gesteckt, wobei er noch immer den wahnsinnigen Druck in seinem Magen spürte, wo ihn der Schlag erwischt hatte. Der Teich war nicht tief, doch auch in ihm konnte ein Mensch ertrinken, wenn er das Falsche tat.
Suko Wollte das Richtige tun. Er stemmte sich trotz des weichen Schlamms vom Grund ab, drehte sich unter Wasser und benötigte nur zwei Schwimmbewegungen, um an die Oberfläche zu kommen, wobei er zuerst nicht viel sah, weil Wasser aus seinen Haaren
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