0857 - Erbe der Aphilie
als Sie. Ich habe kein Recht, diese Frage zu stellen, aber ich stelle sie trotzdem: Warum sind Sie so bitter, so verdrossen?"
Jentho Kanthall war sichtlich überrascht. Er überdachte die Frage eine Zeitlang. Dann faßte er einen Entschluß.
„Es ist sehr freundlich von Ihnen, für mich solches Interesse zu zeigen", antwortete er gepreßt. „Aber ich halte es für besser, wenn wir über diese Angelegenheit nicht sprechen."
Payne Hamiller nickte, aber er war nicht beeindruckt.
„Mir hat nämlich da eben einer eine Lehre erteilt", sagte er. „Ein Roboter. Daß es nämlich in Notfällen nicht um das Interesse des einzelnen geht, sondern um das Interesse der Gesamtheit. Und deswegen meine ich..."
„Was meinen Sie?" unterbrach ihn Kanthall schroff.
„Ich meine, daß ich den Grund Ihrer Bitterkeit verstehe und daß Sie noch einmal darüber nachdenken sollten, bevor Sie die Menschheit als Ganzes zu Ihrem Gegner erklären!"
„Wovon sprechen Sie eigentlich?"
„Ich spreche von einer verlorenen Wahl, Kanthall", erwiderte Hamiller eindringlich. „Ich spreche davon, daß der Kandidat, den viele für den aussichtsreichsten hielten, das Rennen um das Amt des Obersten Terranischen Rates verloren hat und es jemand überlassen mußte, von dem er mit gutem Recht behaupten kann, daß er sich um Terra im Laufe der vergangenen Jahre nicht annähernd so verdient gemacht hat wie eben der Kandidat, der das Rennen verlor."
Jentho Kanthall sah zu Boden.
„Und wenn es so wäre?" brummte er. „Warum sollten Sie sich darum kümmern?"
„Sie wissen, warum Sie die Wahl verloren haben?" wich Hamiller der Frage aus.
„Ich weiß es", antwortete Kanthall finster.
„Und Sie halten den Grund für ungerechtfertigt."
„Ja, das ist richtig."
„Die Wähler haben sich im letzten Augenblick daran erinnert, daß Jentho Kanthall in der aphilischen Hierarchie eine wichtige Rolle spielte. Von denen, die zur Wahl gingen, hat kaum einer die Aphilie erlebt. Sie kennen sie nur vom Hörensagen. Aber die Überlieferung ist so eindringlich, daß jedermann die vierzig Jahre der Aphilie für die entsetzlichste Epo-che der Menschheitsgeschichte hält. Unter diesem Eindruck gaben die Wähler ihre Stim-me ab. Diesem Eindruck verdankt Jentho Kanthall, daß er geschlagen wurde. Er hält die Entscheidung für ungerecht. Er fühlt sich für etwas bestraft, wofür er keine Verantwortung trägt."
„Wenn die Wähler die Menschen gewesen waren, die unter der aphilischen Herrschaft auf der Erde lebten", stieß Jentho Kanthall hervor, „dann hätte ich ihre Entscheidung ver-stehen können. Aber so? Die, die über mein Los entschieden, haben den Terror der Rei-nen Vernunft nie kennen gelernt. Sie haben nur davon gehört. Und trotzdem glauben sie, mich verurteilen zu können!"
Payne Hamiller lächelte.
„Verurteilen? Gehen Sie da nicht etwas zu scharf mit sich selbst ins Gericht? Wer hat Sie verurteilt? Ist die Wahl etwa nicht ziemlich knapp ausgegangen?"
„Das mag schon sein", knurrte Kanthall: „Aber ich habe verloren!"
„Und deswegen wollen Sie für den Rest Ihres Lebens grollen?"
Jentho Kanthall machte eine verächtliche Geste.
„Und wenn schon? Wen stört mein Groll?"
„Mich zum Beispiel", antwortete Hamiller.
„Sie?"
„Ich habe Ihnen zuvor klarzumachen versucht, daß Sie ein wichtiger Mann sind. Sie hat-ten das Kommando auf der Erde, als sich dort nur ein paar Hände voll Menschen befan-den. Sie haben den Widerstand gegen BARDIOC und die Hulkoos organisiert.
Hätte die Erde Sie nicht gehabt, dann wäre sie mittlerweile womöglich für immer BARDIOCs Macht-bereich einverleibt und zum ständigen Bestandteil der Galaxis Ganuhr geworden. Sie sind ein Mann, der über bedeutende organisatorische Fähigkeiten verfügt. Und diese Fähigkei-ten wollen Sie der Menschheit vorenthalten, nur weil Sie sich durch den Ausgang einer Wahl betroffen fühlen?"
Kanthall sah den jungen Wissenschaftler verwundert an.
„Was Sie sagen, ergibt eine ganze Menge Sinn", bekannte er. „Wie kommt's aber, daß ausgerechnet Sie sich über solche Dinge den Kopf zerbrechen?"
Payne Hamiller zögerte nur wenige Sekunden. Dann sagte er: „Ich möchte Ihnen mit ein paar Sätzen antworten, die ich selbst erst vor kurzem gehört habe: Wenn Sie der Menschheit fürderhin Ihre Hilfe verweigern, dann habe nicht ich darunter zu leiden, sondern die Menschheit. Ich bitte um Ihr Verständnis nicht um meiner selbst willen, sondern zum Besten der Menschen."
Jentho Kanthall
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