086 - Das Grab des Vampirs
sagte sie laut, weniger weil sie davon überzeugt war, daß sie tatsächlich eine war, als vielmehr, weil sie sich Mut machen wollte. „Du hättest ihn fotografieren müssen. Schließlich liegen Blitzgerät und alles andere schußbereit auf dem Sitz.“
Aber der Mörder wäre dadurch wahrscheinlich nur noch mehr gereizt worden. Sie hätte ihn geradezu gezwungen, sie zu töten.
Der Wagen erreichte die Pappelallee. Der Mörder stand wartend am Straßenrand. Er verhüllte sein Gesicht mit einem Arm. Mit dem anderen schleuderte er einen Stein nach dem Wagen, verfehlte ihn jedoch.
Ira merkte, daß sie noch immer am ganzen Körper zitterte.
Wenige Minuten später hielt sie am Straßenrand. Sie sah, daß sich ihr ein anderes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit näherte. Da sie annahm, daß Dietmar Runge mit der Polizei kam, blendete sie mehrmals hintereinander. Das andere Auto wurde langsamer.
Ira atmete auf, als sie merkte, daß sie sich nicht geirrt hatte. Sie zündete sich eine Zigarette an. Gefaßt wartete sie auf Runge, der zusammen mit einem Polizisten zu ihr an den Wagen trat.
„Warum bist du nicht bei der Leiche geblieben?“ fragte der Medizinstudent. „Bist du belästigt worden?“
„Allerdings. Der Kerl kam zurück und wollte den Wagen öffnen, aber ich brachte ihn Gott sei Dank wieder in Gang, nachdem er sich von deiner Fehlbehandlung erholt hatte.“
„Bitte, mach jetzt keine Witze!“ bat Runge. „Die Polizei ist ohnehin skeptisch.“
„Warum das?“
„Ich war naiv genug, deinen Beruf zu erwähnen.“
„Ach? Und nun meinen diese Polypen, eine Fotografin sei identisch mit Sensationsreportern, denen es weniger um die Wahrheit, als vielmehr um eine schaurige Story geht?“
„So ungefähr. Also, benimmt dich! Ausnahmsweise.“
Runge wartete ihre Antwort nicht ab, sondern ging zum Polizeiwagen zurück. Der Polizist, der sie nicht verstanden hatte, folgte zögernd.
Ira Bergmann wendete. Sie war wütend. Ihre Angst war verflogen. In der Gesellschaft der beiden Männer fühlte sie sich absolut sicher. Sie steigerte sich in ihre Wut über das Verhalten des Polizisten hinein. So etwas passierte ihr nicht zum erstenmal. Schon oft hatte man sie mit Fotoreportern von Boulevardblättern verwechselt und ihr spöttisch zu verstehen gegeben, daß man von ihrer Arbeit nicht viel hielt. Dabei war sie freiberufliche Fotografin, die ihre Arbeiten über eine Agentur vertrieb und nur in Ausnahmefällen direkt mit Zeitungen und Zeitschriften verhandelte.
Sie fuhr in genügendem Abstand hinter dem Polizeiwagen her und überlegte, was sie tun sollte. Auf der einen Seite fühlte sie sich selbstverständlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Verbrechens mitzuhelfen, auf der anderen Seite fürchtete sie, gar zu lange aufgehalten zu werden. Sie gönnte sich nur einen recht kurzen Urlaub und wollte ihn genießen und nicht auf irgendeiner Wache mit endlosen Verhören und begriffsstutzigen Polizeibeamten verbringen.
Runge fand den Ort des Verbrechens auf Anhieb wieder. Überrascht registrierte Ira, daß er mit fünf Polizisten gekommen war. Sie kletterten schwatzend und lachend aus dem Peugeot. Das Mädchen blieb im Wagen sitzen. Sie verspürte keine Lust, sich die nackte Leiche nochmals anzusehen. Außerdem regnete es noch immer, und ihr war ohnehin kalt.
Die Männer suchten das Gelände mit Hilfe von Taschenlampen ab. Einige Minuten vergingen. Ira wunderte sich bereits, daß die Polizisten nicht länger bei der Leiche stehenblieben, da kam Runge zu ihr zurück.
Sie drehte das Seitenfenster herunter.
„Das Mädchen ist weg“, sagte Dietmar. „Der Kerl muß sie weggeholt haben.“
„Aber es sind doch noch Spuren zu sehen?“
Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
„Nur ein bißchen Blut.“
„Ich habe die Fotos“, erinnerte sie ihn.
„Das hatte ich vollkommen vergessen. Ich werde es den Polizisten sagen.“
Sie drehte das Fenster hoch und griff nach ihrem Fotoapparat, um festzustellen, wie viele Bilder noch auf dem Film waren. Dazu machte sie die Innenbeleuchtung des Wagens an. Vier Bilder hatte sie noch. Sie wollte das Licht gerade wieder löschen, als die Tür neben ihr aufgerissen wurde. Ira fuhr herum und blickte in die geröteten Augen des Mörders. Der Regen hatte seinen Mund abgewaschen; nur seine Zähne schimmerten noch rot.
Ira hatte nie zuvor ein so entsetzliches Raubtiergebiß gesehen. Weiße Hände schossen auf sie zu und packten ihren Hals. Instinktiv riß Ira die Kamera hoch
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