086 - Spukschloss im Mittelpunkt der Erde
wusste genau, dass sie ihre Gedanken nicht ausgesprochen hatte. Der Unsichtbare war ein Telepath
und konnte erkennen, was sie dachten, noch ehe sie es aussprachen. »Richtig.
Dies jedoch ist nur eine Seite meines Wesens. Ich habe vier Jahrhunderte
gebraucht, um mich zu dem entwickeln, was ich heute bin. Du hast mich gefragt,
wer ich bin? Meinen Namen habe ich vergessen, nicht aber meine Rache, die ich
an den Menschen nehmen will .«
»Was für eine Rache? Was haben wir dir getan ?«
»Nicht Menschen waren es, die mich befreiten. Es waren die
Geister, an die ich mich in meiner Verzweiflung wandte ... sie haben meine Not
erkannt und mir die Chance gegeben, wiederzukommen. Ich bin nun selbst ein
Geist und verabscheue alles Menschliche. Ich kenne euch nicht, habe kein
Mitleid mit euch und werde kein Erbarmen kennen. Ich bin nach einer langen Zeit
des Wartens in der Lage, mein Gefängnis zu verlassen. Ihr aber werdet darin
schmachten und umkommen. So wie viele andere, die in der Vergangenheit durch
ein anderes Loch in mein Reich gefallen sind. Ein Loch, das ich bisher nicht
stopfen konnte und das auf der anderen Seite der Welt liegt. Die Skelette
derer, die hierher gerieten, haben euch vor Augen geführt, was aus euch werden
wird .«
Morna schluckte, und Conny Michelson klammerte sich an ihren Mann,
den sie in dem unheimlichen, verwunschenen Schloss wiedergefunden hatte. Die Schwedin hatte bei ihrem Rundgang durch die Kammern,
Verliese und Türme in sämtlichen Stockwerken mehr als ein menschliches Skelett
gefunden.
Das Fleisch war längst zu Staub geworden. Übrig geblieben waren
die bleichenden, durch die ständige Hitze inzwischen auch morsch gewordenen
Knochen. Daran dachte X-GIRL-C besonders intensiv, um einen anderen Gedanken
nicht aufkommen zu lassen, der sich in ihrem Bewusstsein regte. Sie drängte sich durch die Bilder an die Toten, die sie gesehen hatte,
zurück. Und hoffte, den Telepathen damit zu täuschen.
»Du bist verbittert ... Etwas hat dich böse werden lassen«, sagte
sie laut. »Vielleicht können wir dir doch helfen, auf eine andere Weise und
nicht durch unseren Tod .«
»Mir hat niemand geholfen, als ich in Not war. Ich war nur ihr
Schauobjekt. Sie haben über mich gelacht und mit mir ihre Spiele gemacht. Der
Mann, der nur einen Arm hatte, aber dafür zwei Köpfe, er war die Sensation. Man
erbaute ihm ein Extra-Haus. Rund wie eine Manege und mit dicken Mauern
versehen, die er nicht mehr verlassen konnte. Die Türen nach außen waren immer
verschlossen, und sie hatten innen keine Klinken, damit man sie nicht öffnen
konnte. Ich war der Herr eines Castles, der Mann mit den beiden Köpfen,
Herrscher zwischen unüberwindlichen Mauern in leeren Räumen. Nur ein Bett
stellte man mir zur Verfügung. Ich brauchte keine Schränke, denn meine Kleider
wurden mir von den Lords of Norfolk gebracht. Dreimal
am Tag erhielt ich eine Kanne mit Wasser oder Wein und eine Schüssel mit Essen.
Einer, der nur einen Arm und zwei Köpfe hat, ist weder Mensch noch Tier ... Sie
behandelten mich schlimmer als ein Tier. Das Castle war Arena und Zoo, in dem
ich von gaffenden und geladenen Gästen bestaunt und beschimpft wurde. Den Wein
bekam ich, damit sie mich betrunken machen konnten ... Wie würde sich wohl
jemand verhalten, der zwei Köpfe hatte? Sicher machte er unter dem Einfluss des Alkohols auch den doppelten Unsinn. In den
Nächten war ich allein in meiner gemauerten Arena. Die dicken Mauern isolierten
mich von der Außenwelt. Niemand störte mich. Ich konnte nachdenken. Nach außen
konnte ich mich nicht wenden. Also, wandte ich mich nach innen. Gefühle und
Gedanken können viel bewirken, wenn sie jenen gelten, die man zu Hilfe rufen
kann. Mehr als einmal hatte ich es schon versucht. Indiens Welt ist reich an
Mythen und Geistern. Es ist nur wichtig, den Namen des richtigen Dämons
anzurufen. Der Mittelpunkt des Castles, das man für mich errichtet hatte, stand
genau über einem Opferstein, auf dem vor langer Zeit einst Menschen den Göttern
dargebracht wurden und Schwarze Messen zelebriert worden waren. Der Geist der
Satansmessen verband sich mit dem Geist des Dämons aus der Schattenwelt. Teufel
und Dämon gingen eine Hochzeit ein. Es war eine Hochzeit, die mein Leben von
Grund auf veränderte. Ich war in der Lage, diesen doppelten Geist in mich
aufzunehmen, denn ich trug ja zwei Köpfe auf meiner Schulter. Jede Nacht rief
ich die Kräfte an, und sie gaben mir Antwort. Sie wurden schließlich ein Teil
von mir.
Weitere Kostenlose Bücher