0860 - Dämonische Zwillinge
die beiden Wiegen stellen. Sie soll sich ihre Kinder anschauen, und sie soll uns erzählen, was sonst noch zwischen ihr und Josephiel vorgefallen ist. Vielleicht hat er mit ihr über seinen Tod gesprochen und auch darüber, daß es jemand gibt, der diesen Tod beschleunigen kann.«
Die Worte der Anführerin munterten die namenlosen Nonnen auf. Sie waren zufrieden, sie lobten Gitta, die diese Worte gelassen wegsteckte und sich auf den Weg machte.
Natürlich war ihr nicht wohl zumute. Bisher hatte sie immer gewußt, daß es jemand gab, der eingreifen konnte, wenn es hart auf hart kam. Nun aber war Josephiel tot. Laut genug hatten es die Zwillinge herausgeschrieen. Es gab ihn einfach nicht mehr. Er war vernichtet worden, von einer Person, die noch mächtiger war als er.
Wer konnte das sein? Gab es überhaupt jemand, der dazu in der Lage war? Ein Mensch, zum Beispiel?
Sie wischte sich über ihre Stirn, wo der Schweiß wie Öl lag. Den Raum mit den beiden Wiegen hatte sie bereits verlassen. Ihre Schritte lenkte sie über einen breiten Flur, denn sie wollte dorthin gehen, wo eine breite Steintreppe in die Tiefe des Gewölbes führte und die Kellerräume lagen.
Es gab in diesem alten Kloster keine Elektrizität. Man mußte also auf das Licht der Kerzen oder Talgleuchten zurückgreifen oder aber, wie Gitta es getan hatte, sich eine Taschenlampe besorgen.
Es war eine Stableuchte, die an einer bestimmten Stelle an einem Haken an der Wand hing. Ihrem Schein folgte die Frau in die Tiefen des Klosters.
War die Welt in den oberen Räumen schon düster und unnormal, so verstärkte sich dies, je mehr sie sich dem Keller näherte. Von unten her drang ihr ein feuchter Geruch entgegen, als hätte ein im Sterben liegendes Raubtier seinen fauligen Atem ausgeblasen. Die Wände waren früher einmal heller gewesen, im Laufe der Zeit jedoch nachgedunkelt. Als schwarze Streifen malten sich die Rußreste der Fackeln dort ab und vermischten sich mit dem Grau der Spinnweben.
Eine dunkle Decke sah aus wie ein drohend herabschauender Himmel, der die Treppe bis zu ihrem Ende begleitete.
Unebenes Gestein, kahle Wände, eine feuchte Kälte und die tiefe Dunkelheit, die sich in diesem Keller zusammenballte. Sie war beklemmend, als wollte sie die Körper und Herzen der Menschen in sich aufsaugen.
Aber es war nicht still.
Um Gittas Lippen zuckte es, als sie den leisen Gesang hörte, der durch die leeren Gänge drang. Es war das Singen einer Frau, und hier unten gab es nur eine.
Naomi sang. Es war ein schwermütiges Lied, dessen Text sie durcheinanderwarf.
Auch die Melodie schaffte sie nicht so recht, so hörte sich ihr Gesang ziemlich schrill an und gleichzeitig auch etwas traurig, als wäre sie dabei, ihren Zustand zu bedauern.
Gitta drehte sich nach links. Der Lampenstrahl machte die Bewegung mit, er flirrte durch die Dunkelheit, um sich einen Moment später am Mauerwerk entlangzutasten.
Gitta senkte das Licht, als sie tiefer in den Keller hineinschritt. Sie hatten Naomi im letzten Verlies untergebracht. Dieser Raum war in den Stein hineingeschlagen worden, und der Weg in die Freiheit wurde durch eine Gittertür versperrt. Das alles erinnerte an ein mittelalterliches Gefängnis, aus dem die Gefangene nicht ausbrechen konnte.
Das Singen blieb.
Und es war immer wieder das gleiche Lied, das Naomi sang. Die Trauer aber nahm dabei zu. Sie schluchzte zwischendurch sogar auf, was bei Gitta jedoch nicht die Spur von Mitleid hinterließ.
An der linken Seite strich der Lichtkegel über die Wand, bis sich seine Form plötzlich veränderte, und der Kreis auseinandergerissen wurde, so daß er in mehreren Intervallen über die alten Gitterstäbe hinweghuschte, die stark Rost angesetzt hatten.
Gitta blieb vor dem Verlies stehen.
Das Singen verklang. Nicht auf einmal, es wurde leiser, es senkte sich, es schien in die Kehle zurückgedrückt zu werden, dann war kein Ton mehr zu hören.
Für einen Moment trat die Stille ein.
Gitta hatte ihren rechten Arm nach unten gesenkt. Sie leuchtete noch nicht in das Verlies hinein, in dem die Gefangene in der tintenschwarzen Finsternis hockte.
»He, he…«
Die namenlose Nonne lächelte kantig, als sie die Stimme der jungen Frau hörte.
»Ich bin da…«
»Wer?«
»Ich werde dich gleich holen!«
»Nein, nein, nein!« Die Rufe klangen wie die schrillen Schreie einer gepeinigten Katze. »Ich will es nicht! Ihr wollt mich totmachen. Ihr wollt mich wegbringen…« Die Stimme versackte, dann klang wieder der
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