0860 - Dämonische Zwillinge
»Ich denke, daß John nicht so unrecht hat.«
Suko wandte sich ihm zu. »Jetzt fängst du auch noch an. Himmel, was ist denn los?«
»Bitte.« Der Abbé winkte ab. »Das ist kein Anfangen, ich habe eben nur nachgedacht.«
»Was kam dabei heraus?«
Der Templer runzelte die Stirn. Auch er hatte seine Blessuren einigermaßen verdaut. Ein paar Haarbüschel hatte er verloren, sein Hals schmerzte auch noch, ansonsten war er okay. »Ich hatte ja etwas länger mit Josephiel zu tun, und ich erinnere mich daran, daß der Abtrünnige von einem Erbe gesprochen hat.«
Diese Bemerkung hatte uns beide sprachlos gemacht. Bloch merke es und lächelte. »Ja, er sprach von einem Erbe, aber er sagte mir leider nicht, was er damit meinte. Es ist alles schwammig. Wir können es nicht greifen. Nur müssen wir uns darauf einstellen, daß er irgend etwas hinterlassen hat.« Nach dem letzten Wort atmete er tief aus.
»Hast du einen Verdacht?« fragte ich ihn.
»Nein, den habe ich nicht.«
»Dann ist es verdammt vage.«
»John, das weiß ich selbst, aber ich kann nichts machen. Ich muß nur immer wieder an diese Worte denken, und glaubt mir, ich habe sie mir nicht eingebildet.«
Ich hob die Schultern. »Da fühlt man sich wie in einem Heuhaufen stehend und nach der Nadel suchend. Ich habe davon nichts gehört, und ich kann mir auch nichts darunter vorstellen, trotz meiner nicht sehr geringen Phantasie.«
»Man müßte dieses Erbe suchen«, schlug der Abbé vor.
»Wunderbar, und wo willst du anfangen?«
»Das weiß ich leider auch nicht.«
»Und wir sind nicht in der Lage, den Weg dieser Person zurückzuverfolgen«, meinte Suko. »Wir haben ihn als Mörder erlebt, wir haben ihn stellen können, das ist alles. Ansonsten stehen wir da wie der berühmte Ochse vor dem Berg.«
»Leider.«
»Du kommst auf jeden Fall mit nach London«, sagte ich. »Zudem muß Pierre eine würdige Beerdigung erhalten.«
»Das versteht sich.«
Ich stand auf. Meine Brustschmerzen meldeten sich wieder. Sie flossen wie in einem Kreis, aber ich biß die Zähne zusammen. Auf dem Gang blieb ich stehen. Der Wagen stand auf einem Nebengleis nahe der Anlegestelle. Über uns war die Wolkendecke aufgerissen. Sie zeigte breite Lücken, durch die das Azurblau des Himmel hindurchschimmerte. Mir gingen die Erklärungen des Abbés nicht aus dem Kopf. Ich war überzeugt davon, daß er sich dieses Erbe nicht aus den Fingern gesaugt hatte.
Josephiel hatte es ihm gesagt, leider war er nicht konkret dabei geworden, und so mußten wir suchen.
Ein Erbe auf dieser Welt hinterlassen zu haben. Was in aller Welt, konnte das sein?
Was vererbte man denn?
Geld, Vermögen, Sachwerte, vielleicht auch ein Wissen? Je näher ich darüber nachdachte, um so mehr wurde mir klar, daß es nicht so sein konnte. Diese Dinge kamen nicht in Frage. Es mußte etwas anderes sein, falls es vorhanden war.
Ich drehte mich wieder um.
Der Abbé zeigte ein grüblerisches Gesicht. Er sah aus, als wollte er nachdenken, wobei er sich gleichzeitig ärgerte, daß er zu keinem Ergebnis kam.
»Ich kann keine Lösung finden, John.«
»Aber ich.«
»Was?«
»Ja, mein Freund. Wir werden jetzt in den noch immer wartenden Hubschrauber steigen und nach London fliegen. Dort können wir dann in aller Ruhe über gewisse Dinge reden.«
Bloch schielte hoch zum Gepäcknetz, wo sein Koffer lag. Auch ein zweiter gehörte jetzt dazu, denn Pierre war tot. Suko holte die beiden Gepäckstücke herunter.
Dann verließen wir den Wagen.
***
Die Frauen bewegten sich so vorsichtig wie auf einer Eisfläche. Sie wollten keinesfalls stören, aber sie waren von einer ihrer Schwestern alarmiert worden, und sie mußten sich nun selbst davon überzeugen, ob diese Person recht behalten hatte.
Vor der Tür drängten sie sich zusammen. Weiter wollten sie nicht gehen. Sie brauchten auch nicht die Dochte der Kerzen anzuzünden. Es war genügend Licht vorhanden.
Einer Frau schufen sie Platz.
Es war eine hochgewachsene Person mit schwarzen Haaren. Unter der unmodernen Altfrauenfrisur zeichnete sich ein bleiches Gesicht ab mit eingefallenen Wangen, einem spitzen Mund und einer zu groß geratenen Nase. Diese Person hatte innerhalb der Mauern das Sagen. Sie war so etwas wie die Äbtissin der Namenlosen, und sie hörte auf den Namen Gitta. Wo sie herkam, wußte niemand, aber sie hatte es geschafft, Gleichgesinnte um sich zu scharen, und diesen schaurigen Orden aufzubauen.
Gitta war auch diejenige Person, die am meisten den Kontakt
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