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0861 - Gefangene der Namenlosen

0861 - Gefangene der Namenlosen

Titel: 0861 - Gefangene der Namenlosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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verlassen.
    Die Schreie blieben.
    Nur klangen sie jetzt noch wütender. Die Angst war aus ihnen verschwunden, und der nahe Wald saugte sie auf wie ein mächtiger, natürlicher Filter.
    Eine hohe Seitenmauer, keine Türen. Auch wenig Fenster. Wenn sie dann vorhanden waren, sahen sie nur mehr aus wie viereckige Löcher, durch die kaum ein Mensch paßte.
    Das graue Mauerwerk schimmerte an zahlreichen Stellen leicht grünlich. Dort hatten sich Algen und Moos abgesetzt. Es war die Wetterseite, und die Launen der Natur hatten das Gestein auch eingekerbt wie ein altes Gesicht.
    Die Schreie hatten an Stärke verloren. Aber sie waren in der Nähe aufgeklungen, sogar an der Mauer, natürlich im Kloster, und es war der Abbé, der die Entdeckung machte. Er blieb stehen, drückte seinen linken Arm zur Seite, hielt Suko somit auf und deutete mit der rechten Hand nach vorn. »Da ist sie!«
    Es war eine Frau.
    Sie schaute aus einem Fenster, das sicherlich zu einem Verlies gehören mußte. Das Fenster lag ziemlich tief, eigentlich unter dem Niveau des normalen Bodens. Daß es trotzdem zu sehen war, lag an der Senke, die das Gelände an dieser Stelle bildete. So wirkte das Fenster wie ein Ausblick aus einem Souterrain.
    Der Ausguck war breit. Ein Mensch hätte hindurchgepaßt. Daß er dies nicht konnte, lag einzig und allein an den senkrecht und waagerecht verlaufenden Gitterstäben, die es dem Gefangenen unmöglich machten, dieses Verlies zu verlassen.
    Auch der Frau nicht.
    Sie klammerte sich mit einer Hand an einem Gitter fest. Den freien Arm hatte sie durch eine Lücke so weit wie möglich nach draußen geschoben, und sie bewegte dabei ihre Finger, als wollte sie nach irgend etwas greifen.
    Aber da war nichts, was ihr hätte Halt geben können. Sosehr sich auch Gefangene die Hilfe wünschte, sie würde sie nicht kriegen. Sie schrie auch nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie die beiden Männer ebenfalls nicht gesehen. Sie war zusammengesackt und klammerte sich am Gitter fest, als wäre dies der letzte Halt in ihrem Leben.
    »Das ist doch keine dieser Nonnen«, flüsterte der Abbé.
    »Bestimmt nicht.«
    »Wer ist es dann?«
    »Sie wird es uns sagen.« Suko überlegte einen Moment. »Wenn mich nicht alles täuscht, sieht diese Frau noch ziemlich jung aus. So jung, daß ich zu bestimmten Schlußfolgerungen gelangen könnte.«
    »Zu welchen?«
    Suko verkantete den Mund zu einem Lächeln. »Es wäre gut möglich, daß hier die, ach, lassen wir das. Sie wird es uns hoffentlich selbst sagen.«
    Auch der Abbé fragte nicht weiter. Im Gegensatz zu ihnen beiden hatte die Gefangene noch nicht gesehen, daß sich ihr zwei Männer näherten. Zwar stand sie noch immer am Fenster, schaute jedoch weg, als könnte sie das normale Elend nicht mehr sehen.
    Suko dachte nicht nur an die Frau.
    Er gehörte zu den vorsichtigen Menschen und rechnete sogar mit einer Falle, die jemand aufgebaut hatte. Die Frau war der Lockvogel, sie ließen sich ablenken, und aus dem Hinterhalt würde plötzlich der Angriff der Monsterkinder erfolgen.
    So hätte es laufen können, so lief es aber nicht, denn niemand griff sie an, auch dann nicht, als die unbekannte Frau den Kopf anhob und die beiden Männer sah.
    Suko legte blitzschnell einen Finger gegen die Lippen, darauf hoffend, daß die Frau im Verlies das Zeichen verstand.
    Sie sagte nichts.
    Ihr Blick war nach vorn gerichtet. Da Suko und der Abbé sich ihr auch genähert hatten, konnte sie schon den Ausdruck in den Augen wahrnehmen. Er zeigte ein gewisses Erstaunen, aber auch die Bitte um Hilfe. Die Unbekannte hielt jetzt mit beiden Händen die Gitterstäbe umklammert. Das Eisen schimmerte in einem ähnlich graublauen Farbton wie das alte Mauerwerk des Klosters.
    Die letzten Schritte legten sie in kurzer Zeit zurück, um vor dem Fenster stehenzubleiben.
    Es befand sich noch über ihnen, weil der Boden zum Kloster hin abfiel. So mußten Suko und der Abbé hochschauen, um in das Gesicht sehen zu können. Es zeigte keine Freude. Die Haut war verquollen, die Augen vom langen Weinen gerötet, der Mund zuckte, und heftiger Atem fuhr durch die Lücken zwischen den Stäben.
    Die Person mußte zunächst einmal beruhigt werden, deshalb sprach Suko sie mit den Worten an: »Sie brauchen keine Furcht zu haben, wir werden Ihnen nichts tun.«
    Sie nickte.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin… ich … ich bin Naomi.«
    »Ein sehr schöner Name, aber…«
    »Die Mutter!« keuchte sie. »Ich bin die Mutter der Zwillinge. Ich habe sie zur

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