0861 - Gefangene der Namenlosen
Welt gebracht – ich!«
Sie gaben es sich selbst gegenüber nicht zu, aber irgendwie hatten Suko und der Abbé mit einer derartigen Antwort gerechnet, und es war Bloch, der den Anfang machte. »Dann haben Sie… dann sind Sie mit dem abtrünnigen Engel Josephiel …«
Naomi unterbrach ihn. »Ja, er war mein Geliebter. Ich habe ihn hier kennengelernt. Er war bei den Namenlosen Nonnen. Er fühlte sich zwischen diesen Weibern wohl. Er hat das Kloster als Geburtsstätte für seine Söhne ausgesucht.«
»Namenlosen Nonnen?«
»So nennen sie sich. Sie sind Verstoßene, Ausgestoßene. Man wollte sie in den normalen Orden nicht mehr haben, deshalb haben sie sich zusammengefunden und sich hier versammelt. Sie haben dieses Kloster gefunden, sie fühlen sich hier wohl, denn hier sind sie sicher. Hinter diesen Mauern gehen sie ihren schrecklichen Ritualen nach, denn sie dienen längst nicht mehr demjenigen, dem sie einmal gedient haben. Hier befindet sich der perfekte Unterschlupf für sie.«
»Was ist mit Ihnen?« fragte Suko.
»Ich?« Sie lachte auf. »Ich bin nicht mehr als ein Rad im Getriebe, das seine Schuldigkeit getan hat. Ich bin eine Gefangene, ich habe die beiden Kinder zur Welt gebracht, und ich bin nicht mehr als eine ausführende Person.«
»Aber sie leben!«
»Wie lebe ich denn?« kreischte Naomi. »Das ist kein Leben, das ich hier führe. Ich vegetiere dahin. Ich bin eingesperrt. Man hat mich hier in ein Verlies gesteckt. Aber ich will mich nicht beschweren, ich kann ja die Sonne sehen, wenn ich durch das Fenster schaue und auch den Himmel. Ich weiß, daß ich sterben muß. Es wäre beinahe schon soweit gewesen.« Sie schnappte nach Luft und drückte ihren Kopf so weit vor, daß die Gitterstäbe ihr Gesicht berührten. »Und wenn ich sterbe, dann durch die Hände meiner eigenen Söhne. Ja, sie werden mich umbringen. Sie werden mich töten. Sie sind brutal, denn ich habe ebenfalls versucht, sie umzubringen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, welche Art von Brut ich geboren habe.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Weg! Nicht mehr im Kloster!« Naomi schielte durch die Lücke.
»Sie haben es verlassen, denn sie spürten, daß jemand erschienen ist, den sie nicht mochten.« Ihr Blick bekam etwas Fragendes. »Seid ihr diejenigen, die als Todfeinde meiner Söhne bezeichnet wurden?«
»Das ist möglich.«
Naomi saugte die Luft ein. »Aber ihr seid zu zweit. Sie hat von einem Todfeind gesprochen.«
»Den gibt es auch.«
»Dann wollt ihr gegen meine Brut kämpfen?«
»Ja, denn Josephiel existiert nicht mehr.«
Naomi warf den Kopf zurück und lachte. Sie konnte sich gar nicht mehr einkriegen, und zwischendurch erzählte sie davon, daß ihre Schreie etwas gebracht hatten. Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, Hilfe zu bekommen, jetzt…
»Wir müssen in das Kloster hinein«, sagte Suko, »wenn wir Sie herausholen wollen.«
»Zu diesen Weibern?«
»Ja, wohin sonst?«
Wieder mußte Naomi lachen. »Freiwillig«, flüsterte sie, »werden Sie nichts erreichen. Diese Frauen sind stark. Sie bilden eine Gemeinschaft. Was sie einmal besitzen, gehört ihnen, und sie werden es so leicht nicht rausgeben.«
»Wir haben mit Schwierigkeiten gerechnet. Gibt es noch einen zweiten Eingang?« fragte der Abbé.
»Ich kann es nicht sagen. Bestimmt, aber er ist sicherlich verschlossen.«
»Gut.« Suko lächelte. »Dann versuchen wir es ganz offiziell.« Er gab sich lockerer, als er war, denn er sagte: »Bis gleich, Naomi…«
Die junge Frau verstand die Welt nicht mehr. Sie schaute den beiden nach und umklammerte die Gitterstäbe so fest, als wollte sie diese jeden Augenblick aus dem Mauerwerk reißen…
***
Wer uns sah, der hätte meinen können, daß sich der Vater mit seiner Tochter auf den Weg gemacht hatte und dabei nicht auf die Zeit zu achten brauchte, denn das Mädchen mit den Zöpfen führte mich nicht auf dem direkten Weg ins Dorf zurück, sondern zeigte mir die geheimnisvollen Pfade und Umwege, die uns ebenfalls zum Ziel brachten.
Wir kletterten durch das Gelände, wir hatten einen großen Bogen geschlagen und einmal sogar einen dieser wilden Bäche überqueren müssen. Dabei auf den aus dem Wasser ragenden Steinen balancierend, was gar nicht so einfach war.
Aber wir schafften es, rutschten dann einen Hang hinab, und die Abstände zwischen den Bäumen wurden lichter, so daß wir auf die Dächer der meisten Häuser schauen konnten.
Trivino war meiner Ansicht nach nicht nach einem Konzept gebaut worden.
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