0862 - Der Leichenmantel
Signora Frappi.«
»Das ist gut. Dann wird Naomi wieder gesund werden. Wir wünschen es ihr« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich daran denke, was diese junge Frau alles durchgemacht hat, wird mir ganz anders. Ich habe mir auch Vorwürfe gemacht, daß wir uns nicht schon früher um sie gekümmert haben. Aber da hat sie bei ihrer Tante Serafina gelebt, und nach außen hin war auch alles in Ordnung. Wer hätte denn wissen können, daß uns das Schicksal einmal so zusetzt?«
»Niemand, Signora Frappi. Deshalb heißt das Schicksal auch Schicksal. Keiner kann es erahnen, voraussagen oder bestimmen.«
»Danke.«
Silvio Frappi wollte wissen, was wir noch vorhatten. Als wir davon sprachen, etwas zu essen, wollten uns die Frappis nicht gehen lassen. Wir aber bestanden darauf, auswärts zu essen, beide sollten sich keine Umstände machen.
Fast fluchtartig verließen wir das Haus der netten Leute. Draußen war die Sonne bereits tiefer gesunken. Die Berggipfel nahmen ihr einen Teil der Kraft, und erste Schatten waren bereits entstanden.
Der Himmel über uns zeigte noch eine prächtige Bläue, verziert von einigen Wolkentupfern.
»Es könnte so herrlich sein«, sagte Suko und seufzte dabei leicht. Er hob die Schultern und gab sich selbst eine Antwort. »Aber leider nicht bei uns, John.«
»Stimmt.«
***
Wir hatten wunderbar gegessen. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Eine Wurstplatte, zu der es dunkles, selbstgebackenes Bauernbrot gab. Der Schinken und die Wurst waren gut gewürzt gewesen. Dazu hatten wir noch frischen Salat gegessen und hätten voll zufrieden sein können, wenn wir Urlauber gewesen wären, aber die waren wir nun mal nicht. Unser Abendspaziergang würde uns zu einem düsteren Kloster führen, und keiner von uns wußte, was uns dort an negativen Neuigkeiten erwartete. Wir hatten zwar während des Essens nicht darüber gesprochen, aber der Gedanke an die Zombies hatte uns nicht losgelassen.
Obwohl möglicherweise einiges vor uns lag, gönnten wir uns noch einen Verdauungsschnaps, einen Wacholder, der dem Magen nach dem kräftigen Essen so richtig guttat.
Wir zahlten und verließen das rustikale Gasthaus mit dem niedrigen Dach, auf dem Schweizer Fahnen im Wind flatterten. Es war aufgefrischt. Der Abendwind spielte mit den Blättern der Bäume, er brachte eine gesunde Frische mit und wehte auch hinab in die großen Täler des Tessins, wo er ein wenig Abkühlung mitbrachte.
Wir hätten natürlich zu Fuß gehen können, nahmen aber trotzdem den Frontera. Unter Umständen war Beweglichkeit erforderlich, auf vier Rädern waren wir immer schneller als zu Fuß.
Der Wagen stand auf einem kleinen Platz neben dem Gasthaus. Wir hatten den Opel nicht abgeschlossen, das war hier nicht nötig, und nur deshalb konnte es sich auch jemand auf dem Rücksitz bequem machen. Als wir einstiegen erschien ein Mädchengesicht, das von zwei dunklen Zöpfen umrahmt war. Carla Frappi.
»Hi, das ist eine Überraschung«, sage ich.
Sie lächelte uns an. Nur kurze Zeit, dann wurde ihr Gesicht ernst. »Da ist doch was passiert, nicht?« fragte sie direkt.
»Wie kommst du darauf?«
»Sag nicht nein, John. Ich habe es meinen Eltern angesehen. Sie machen sich ebenfalls Sorgen.«
»Ach, warum denn?«
Sie tippte gegen meine Nase. »Ich kenne meinen Vater gut genug. Er war bedrückt und kam mir so vor, als wäre noch längst nicht alles vorbei. Hat er denn recht? Geht es weiter? Ist noch nicht alles gelaufen?«
»Das wissen wir selbst nicht, Carla.«
»Aber ihr wollt zum Kloster?«
»Stimmt.«
»Mit den Nonnen sprechen?«
Diese Frage bewies mir, daß Silvio dichtgehalten hatte. »Ja, du hast recht. Es ist noch einiges unklar, denke ich. Du weißt, daß wir Polizisten sind, und Polizisten haben nun mal die Angewohnheit, immer alles ganz genau wissen zu wollen.«
»Sehr genau?«
»Klar!«
Carla legte den Kopf schief. »Ganz, ganz genau?« Ihr Mund verbreiterte sich.
»Stimmt.«
»Hm.« Das Lächeln verschwand, sie dachte nach und schaute dabei ihr Gesicht an, das sich in der Scheibe spiegelte. Ich wunderte mich jetzt über ihren Besuch, aber auch über die Fragerei. Carla war ein aufgewecktes Mädchen, das mit offenen Augen durch die Welt lief. Sie hatte uns auch auf die beste Spur gebracht, und sie kam mir in diesen Momenten tatsächlich so vor, als hätte sie uns wieder eine Neuigkeit mitzuteilen, auch wenn sie nicht so recht mit der Sprach herausrücken wollte, aber da fühlte ich ihr auf den Zahn.
»Du hast doch
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