0862 - Der Leichenmantel
nach, ob wir nicht einen Fehler begangen hatten. Wir hätten bei den Leichen bleiben sollen, zumindest in der Nähe, um sofort einschreiten zu können, wenn sie erwachten und versuchten, als Zombies auf die Beine zu kommen. Das taten wir jedoch nicht.
Ob unsere Ankunft beobachtet worden war, wußten wir nicht. Es ließ sich jedenfalls niemand blicken. Auch kein Dorfbewohner. Diese Menschen hatten überhaupt keinen Grund, sich dem Kloster zu nähern, obwohl sie Bescheid wußten, wie wir durch Carla, die clevere Zwölfjährige, erfahren hatten.
Die Menschen hier in Triviso hatten mit dem Wissen um das Unheimliche gelebt, und sie würden auch noch weiterhin damit leben, das stand für uns fest.
Die Schatten der Bäume zeichneten sich auf dem Boden ab und sahen aus, als wären sie von einem modernen Künstler gezeichnet worden.
Suko wartete am Eingang auf mich. Ich blieb bei meiner Ansicht und sagte es ihm auch. »Wir werden, so denke ich, eine Überraschung erleben, Alter.«
»Zu sehen ist nichts.«
Ich schaute ihn an. »Wie meinst du das?«
Er deutete zu Boden. »Ich habe sicherheitshalber nach Spuren Ausschau gehalten. Wenn wir annehmen, daß sie zu Zombies geworden sind, könnte ich mir vorstellen, daß sie nach ihrer Gier auf Menschen das Kloster so schnell wie möglich verlassen wollen. Davon ist aber nichts zu sehen. Keine Fußabdrücke neben dem Fels.«
»Stimmt.«
»Gehen wir?«
Ich lockerte meine Beretta. »Sicher.« Mit der geweihten Silberkugel ließen sich die Zombies vernichten, und es gab für uns keinen Grund, auch nur eine Sekunde zu zögern.
Ich deckte Suko den Rücken, als er die Tür aufzog. Es war damit zu rechnen, daß sie plötzlich an der Tür erschienen und über uns herfielen.
Das passierte nicht.
Wir konnten das Kloster völlig normal betreten und schlichen hinein in den Eishauch. So zumindest kam mir die Kühle zwischen den Mauern vor, eisig, wie von dem Maul eines am Pol lebenden Raubtiers ausgestoßen. Die Kälte hatte auch einen anderen Grund. Es war die des Todes, dieser gänsehautfördernde Hauch aus dem Jenseits.
Viel Schatten und Düsternis, wenig Licht. Eine Mischung, die gut in einen Film hineingepaßt hätte, denn das hier war für einen Horrorstreifen die perfekte Umgebung.
Hinter uns war die Tür wieder zugefallen und hatte zumindest mir das Gefühl gegeben, ein Gefangener zu sein. Es war nichts zu hören, es hatte sich auch nichts verändert. Der Glaube, daß uns irgendwelche Zombies erwarteten, erwies sich meiner Ansicht nach schon jetzt als irrig. Da hatten wir uns etwas eingebildet, unsere Phantasie war zu stark ausgeprägt gewesen.
Wir schalteten unsere Lampen an. Die dünnen Strahlen bewegten sich wie helle Arme durch die Finsternis. Sie trafen nur leere Ziele, erwischten weder einen Toten noch einen Untoten. In dieser Halle blieb alles so schrecklich normal.
»Gehen wir denselben Weg?« fragte mich Suko.
»Sicher.«
Er tat es noch nicht. »Sag erst, was mit dir los ist. Du kommst mir vor, als würdest du unter Strom stehen. Da muß doch etwas passiert sein, John.«
Ich hob die Schultern. »Tut mir leid, ich kann es dir nicht sagen. Es steckt in mir. Ich habe den Eindruck, daß wir hier an der Nase herumgeführt worden sind. Wir sind die normalen Menschen. Was aber hier abgelaufen ist, wurde von Schauspielern dargestellt, und man will uns jetzt wahrmachen, daß wir in dieses Bühnenstück hineintreten sollen.«
Suko hatte mich nicht verstanden. »Wie bist du nur auf eine derartige Meinung gekommen?«
»Das will ich dir sagen. Daß wir uns um Josephiels Söhne gekümmert haben, war zwingend notwendig. Das lag auf der Hand, das mußten wir tun. Alles okay. Aber wir haben gleichzeitig diese Namenlosen Nonnen vergessen. Sie sind ebenfalls ein Mittelpunkt. Hinter ihrer Existenz steckt mehr, als wir angenommen haben. Der Meinung jedenfalls bin ich. Zudem will mir die Geschichte des Leichenmantels nicht aus dem Kopf. Ich habe das Gefühl, daß einiges daran stimmt.«
»Dann werden wir es auch herausfinden.«
»Gut.«
Der Geruch war geblieben. Empfand ich ihn stärker als vor einigen Stunden? Ich wußte es nicht.
Jedenfalls war die klebrige Kühle geblieben, und wir nahmen denselben Weg wie bei unserem ersten Besuch.
Suko öffnete die Tür, hinter der dieser schmale Gang lag, wo wir die Tote gesehen hatten. Er leuchtete hinein und konzentrierte den Strahl auf die Stelle, wo die Nonne gelegen hatte.
Ich hörte seinen Fluch.
»Was ist denn?«
»Sieh
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