0862 - Der Leichenmantel
gesammelt.
Dunkelheit und Helligkeit wechselten einander ab, immer wieder geriet sie in den Taumel hinein, wurde aber auch wieder hervorgezogen.
Dann endlich sah sie klarer.
Nur war es für sie keine Erlösung, denn was jetzt durch das breit genug gewordene Loch aus der Tiefe des Kellers an die Oberfläche stieg, war einfach schrecklich.
Ein braunes Skelett mit Augen, in denen es rötlich glühte. Aber nicht nur das war zu sehen. Das Skelett hielt etwas umklammert, das wie ein Stab aussah und an der Spitze gebogen war.
Eine Sense!
Alt und verrostet, dennoch tödlich.
Dann erschien die freie Hand. Die Knochenklaue griff dorthin, wo das Loch an den Rändern gezackt war. Ein harter Griff, ein leichtes Brechen war zu hören, dann hatte das Skelett freie Bahn.
Es stemmte sich hoch und stieg wie der personifizierte Alptraum aus dem Keller hervor…
***
Um Anna Frappis Lippen huschte ein Lächeln, als sie ihre Tochter sah. »Na, wie geht es dir?«
»Gut.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Anna Frappi stand am Küchentisch. Sie rollte Teig aus, weil sie das Abendessen vorbereitete. Mit schon zurechtgeschnittenen Fleischstücken sollte der Teig belegt werden, und Anna erkundigte sich, ob sie es nicht übernehmen könnte.
»Nein, nein, das mache ich selbst. Du bist mit deinen Gedanken sowieso woanders.«
»Ach - woher weißt du das?«
»Ich sehe es dir an.«
Anna mußte lachen hielt sich aber zurück mit einer Antwort, sondern erzählte davon, daß es Naomi schon recht gut ginge.
»Ja, das habe ich auch festgestellt.«
»Ist das nicht toll? Und stell dir vor, die hat sogar nach den beiden Männern gefragt.«
»Den Engländern?«
»Ja.« Anna nickte.
»Was wollte sie denn von denen?«
»Sie fragte nur, ob sie noch hier im Dorf wären.«
»Ach so.«
»Sind sie das denn?«
»Soviel ich weiß, schon, aber du kannst deinen Vater sicherheitshalber fragen.«
»Mach ich auch. Wo ist er denn?«
»Draußen. Er will noch die Blumen gießen. Du findest ihn an der Pumpe oder im Garten.«
»Ciao, Mama.«
Lächelnd blickte Anna Frappi ihrer Tochter nach. Carla war ihr aller Sonnenschein, und sie hätte es kaum überwinden können, wenn ihr etwas passiert wäre. Dann hätte sie, nein, sie wollte sich nicht mit derartigen Gedanken belasten. Alles sollte seinen normalen Lauf nehmen. Sie würde, sie wollte…
Ihre Gedanken brachen ab.
Da war ein Geräusch gewesen!
Ein fremder Laut, der so gar nicht in die andere Kulisse hineinpassen wollte.
Für einen Moment hielt Anna Frappi den Atem an. Sie wußte auch nicht, wo der Laut entstanden war. Er war einfach nur da gewesen, doch das reichte ihr aus.
Sie wartete.
Nichts wiederholte sich. Alles schien erstarrt zu sein. Vor ihrer so bekannten Umgebung verspürte sie plötzlich eine bedrückende Angst, als hätten sich in der Nähe gewisse Dinge zusammengezogen und auch verdichtet. Die Hände schwebten über dem ausgerollten Teig und verharrten.
Nichts war geschehen…
Und später?
Sekunden vertropften. Das Geräusch wiederholte sich nicht, und Anna Frappi erwachte als erste aus ihrer Erstarrung. Sie schnaufte, als wollte sie sich auf diese Art und Weise die nötige Luft verschaffen.
Draußen war es still, bis auf die helle Stimme ihrer Tochter. Sie hatte den Vater gefunden und redete mit ihm. Anna kümmerte sich wieder um das Essen. Sie begann damit, den Teig zu belegen, doch das Gefühl der Furcht blieb bestehen.
Carla stand neben ihrem Vater, der den Pumpenschwengel bewegte und so das Wasser in die breite Öffnung der Gießkanne fließen ließ. »Was willst du denn von den beiden?«
»Nur mit ihnen sprechen.«
»Dann warte, bis sie kommen.«
»Haben Sie das denn gesagt?«
»Nicht genau, aber ich denke doch, daß wir sie hier noch sehen. Sie wollten ja zum Kloster und dort noch einmal nachschauen. Morgen wird sowieso die Polizei hier erscheinen.«
»Morgen…«, murmelte das Mädchen und ließ das Wort langsam ausklingen.
»Ja, morgen.« Frappi stellte die Pumpe ab. »Ist was? Hast du etwas dagegen?«
»Nein, nein, wie könnte ich?«
»Eben, wie könntest du?«
»Aber es ist doch schon komisch. Vor uns liegt eine lange Nacht, dann erst kommt der Morgen.«
»Stimmt.« Er lächelte. Dann fragte er, ob die Mutter schon die Pizzen in den Ofen geschoben hatte.
»Nein, noch nicht, aber sie wird rechtzeitig fertig werden!«
»Ich gieße noch die Blumen. Willst du mithelfen?«
»Muß ich?«
Silvio lächelte. »Nein, du mußt nicht, wenn du nicht willst, meine kleine
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