0863 - Die Sirene von Atlantis
bekommen werden.«
»Wir müssen damit rechnen.«
Myxin sprach zu sich selbst. »Vielleicht war sie auch gefangen, ähnlich wie du. Nur nicht in demselben Reich, sondern ganz woanders. In Dimensionen, in die wir bisher keinen Einblick gehabt haben. Das ist alles möglich. Du hast dich vorher befreien können. Sie aber nicht. Roya ist jetzt erst auf dem Weg, und sie weiß auch über dich Bescheid. Sie sucht wieder den Kontakt.«
Da Myxin verstummt war, fühlte sich Kara gedrängt, eine Antwort zu geben. »So könnte es gewesen sein.«
»Gehen wir davon aus, daß es das auch war. Was können wir tun? Wie müssen wir uns verhalten?«
Kara lächelte. »Ich kann leider nicht in die Zukunft sehen. Ich weiß nicht, was diese Person Vorhat.«
»Aber du gehst davon aus, daß sie kommen wird!«
»Ja. Der Gesang war Beweis genug. Wir müßten uns also auf sie einstellen.«
»Was könnte passieren, wenn sie herkäme?«
Kara schwieg in den folgenden Sekunden. Sie zeigte sich regelrecht schockiert. »Ich will das Grauen nicht an die Wand malen, aber ich habe dir schon einmal gesagt, daß sie unwahrscheinlich grausam ist. Und sie wird sich auch in dieser Welt nicht ändern, falls sie denn aus der Vergangenheit erscheint.«
»Dann sollten wir Vorsorge treffen.«
»Wie?«
»Du kennst sie besser.«
Kara lachte bitter und nickte dabei. »Ja, ich kenne sie besser. Leider sehr gut sogar. Ich habe sie erlebt. Ich habe viel, sehr viel…«
»Schau mich an, Kara.«
Irritiert wandte sie den Kopf. Myxins Gesicht schwebte dicht vor dem ihren, aber es bestand nur mehr aus Augen, die wie zwei große, faszinierende Kreise gegen sie gerichtet waren, vergleichbar mit zwei kleinen Seen, in die Kara hineintauchte.
Ihr waren die Kräfte des kleinen Magiers bekannt. Er konnte die geistigen Mächte einsetzen, unter anderem war er ein Meister der Hypnose. »Schau mich an«, bat er sie, »schau mich genau an.« Seine Stimme klang leise und dennoch verbindlich. Kara wußte, daß sie ihr nicht entgehen konnte, zudem wollte sie es auch nicht.
Sie überließ sich ganz und gar ihrem Freund Myxin.
»Du wirst dich jetzt erinnern. Du tauchst ein in die Vergangenheit, in Zeiten, die längst Geschichte für uns sind, aber uns doch noch immer begleiten. Denk nur an sie, nur an Roya, hol dir die Zeiten zurück, die du mit ihr erlebt hast…«
Kara hatte die Worte vernommen. Sie lullten sie ein, und sie trugen sie weg.
Weit zurück in die Vergangenheit eines längst versunkenen und rätselhaften Kontinents…
***
Karas Erinnerungen
Es war ein sehr heißer Tag gewesen, die Luft stand. Selbst vom Wasser her kam keine frische Brise, keine Abkühlung. Das Meer hatte vor den Augen der Menschen gelegen wie ein stumpfer Spiegel, kaum bewegt. Selbst die Segel der Schiffe waren nicht gebläht. Alles hatte müde und trostlos ausgesehen, und jeder wußte, daß diese Zeit der Stille und der bleiernen Hitze nicht mehr lange anhalten würde.
Es mußte einfach zu einer Entladung kommen.
Und es kam auch dazu.
Schon am Nachmittag zogen am Himmel die ersten grauen Wolken wie dicke Pakete auf. Ein mächtiges Gebirge ballte sich über dem Meer zusammen und trieb auf das große Land zu.
Der Himmel verdunkelte sich, Schatten fielen auf die Erde wie graue Schleier, zwischen denen es an manchen Stellen schwefelgelb leuchtete.
Die Menschen, die auf den Feldern oder anderswo im Freien arbeiteten, beobachteten den Himmel mit großer Besorgnis. Andere brachten das Vieh in die Ställe, denn jeden Augenblick konnte die Hölle losbrechen. Die Bewohner kannten das, und einige hatten Angst.
Wer sich noch auf dem Meer befand, versuchte so rasch wie möglich einen schützenden Hafen zu erreichen. Die Händler auf den Märkten an diesem Teil der Küste brachten ihre Waren in Sicherheit und suchten auch selbst Schutz.
Das Gewitter war nicht mehr aufzuhalten.
Ein fernes Grollen über dem Meer war bereits zu vernehmen. Es war wie ein erster Warnstoß. Erste Windböen jagten über das Land.
Viele Menschen beobachteten den Himmel. Dazu gehörte auch die junge Kara, die das Gewitter ganz genau sehen und erleben wollte und deshalb in die obere Etage des väterlichen Hauses gestiegen war. Am liebsten hätte sie die Zeit auf dem Dach verbracht, das aber war ihr zu gefährlich, denn deckungslos konnte sie leicht ein Opfer für den einen oder anderen Blitz werden.
Sie blieb an einem der großen Fenster stehen, die zum Meer hin zeigten, denn von dort näherte sich die drohende
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