0865 - Aus Tinte geboren
ernst.
»Sie sind…?«, stieß der Psychologe hervor.
Zamorra beschränkte sich auf ein freundliches Nicken.
»Und ich habe zu tun«, sagte er. »Ich darf Sie also bitten, zu gehen. Und zwar schleunigst.« Er wies mit ausgestrecktem Arm in Richtung Glastür.
»Ich…«, setzte Dr. Bonmirelle an.
»Raus!«, donnerte Zamorra.
»Ist das jetzt der Moment, wo ich böse gucken soll, Doktor?«, fragte der Polizist.
»Bin ich denn hier nur von Idioten umgeben?«, wütete Bonmirelle.
»Das ist das Leid aller Genies, sie gehen in der Dummheit der Masse unter«, philosophierte der Uniformierte. »Professor Zamorra als Eigentümer dieses Schlosses hat uns desselben verwiesen. Wenn wir dieser Aufforderung nicht Folge leisten, begehen wir Hausfriedensbruch.«
Damit ging er in Richtung Glastür.
»Aber Sie sind doch Polizist!«, ereiferte sich Bonmirelle.
Jemand tippte ihm auf die Schulter. Irritiert fuhr er herum - und starrte direkt in das aufgerissene Krokodilmaul des Jungdrachen Fooly, der sich während des Streites lautlos hinter seinem Rücken angepirscht hatte. Fooly breitete die Flügel aus und sagte herzlichst: »Buuuuh!«
Entsetzt ließ Bonmirelle seinen Aktenkoffer fallen, machte einen wilden, filmreifen Sprung zur Seite und versuchte vergeblich, hinter Zamorra Deckung zu finden. Als dieser das nicht zuließ, wetzte er geduckt an ihm vorbei zur Treppe, um sie emporzustürmen, gleich drei oder vier Stufen auf einmal nehmend.
Zamorra und Fooly lachten hinter ihm her.
***
Sergeant Bouché kam langsam, ganz langsam wieder zurück. Fassungslos starrte er Fooly an. »Ist - ist der echt?«, fragte er verunsichert.
»Und ob«, versicherte der Jungdrache. »Noch echter geht's nicht. Dachtest du etwa, ich wäre ein Plüschtier? Mit Knopf im Ohr?« Er spie eine Feuerwolke aus. »Aber ich bin ganz harmlos«, erklärte er dann.
So ganz war der Sergeant wohl noch nicht bereit, das zu glauben, wie seine abwehr- und fluchtbereite Haltung verriet. Zamorra schmunzelte.
Dr. Bonmirelles Aktenkoffer lag vor ihm. Beim Aufprall auf den Boden hatte er sich geöffnet, da er ja nicht richtig geschlossen gewesen war. Oben auf den Utensilien lag ein ebenfalls nur halb geschlossenes Etui. Zamorra hockte sich neben den Koffer und nahm das Etui in die Hand.
Größe und Farbe kamen ihm bekannt vor. Er hatte so ein Teil schon einmal gesehen, als er vor einigen Jahren ungeliebter Gast bei einer Befragung gewesen war, die der DGSE an jemandem vornahm, den sie für einen Telepathen hielten. Im Positiv-Fall wäre der Mann für den Geheimdienst rekrutiert und in seinen Dienst gezwungen worden. Zamorra war als Beobachter abgeordnet worden, weil die Regierung auch einen unabhängigen Gutachter dabeihaben wollte.
»Das dürfen Sie nicht, Professor«, warnte der Polizist, als Zamorra das Etui öffnete. »Sie vergreifen sich an fremdem Eigentum.«
»Sie haben das doch gar nicht gesehen, Sergeant«, erwiderte der Parapsychologe. »So wenig, wie Sie den Drachen gesehen haben. Stimmt's, oder habe ich recht?«
»Wenn Sie das so sehen«, brummte Bouché. »Es würde mir auch schwer fallen, glaubwürdig zu bleiben, wenn ich diesen - ich hab' ihn ja nicht gesehen - in meinem Protokoll erwähnen würde.«
Sie grinsten sich an.
Zamorra sah im Etui die leere Halterung für eine Injektionspistole, wie sie bei Impfungen verwendet wird, und er sah eine Reihe von Ampullen, von denen eine fehlte. Er zog ein Exemplar heraus, betrachtete die Beschriftung und fand bestätigt, was er befürchtet hatte.
Scopolamin hybrobromid, las er.
Das Scopolamin ist nach dem 1788 verstorbenen italienischen Naturforscher A. Scopoli benannt worden. Es handelt sich um ein Alkaloid des Tollkrauts Scopolica carniolica, das pupillenerweiternd und narkotisch aufs Großhirn wirkt. Als »hybrobromid« wirkt es beruhigend auf Geisteskranke, weil es das Zentralnervensystem lähmt, und dient auch der Einleitung von Narkose zusammen mit anderen Mitteln.
»Und«, murmelte Zamorra, »es wird auch als Wahrheitsdroge verwendet.« An diesem Teufelszeug liegt es, dass Menschen in Narkose befragt werden können und dann willenlos alles herausplappern, wonach sie gefragt werden…
Dr. Bonmirelle hatte diese Wahrheitsdroge also bei sich!
Zamorra sah den Polizisten fragend an. »Konnten Sie beobachten, dass Bonmirelle eine Injektionspistole und eine Ampulle einsteckte?«
»Ich musste auf den Straßenverkehr achten. Ich glaube aber, er hat irgendetwas aus dem Etui genommen und in die
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