0867 - Die Pesthexe von Wien
Isolierstation ein befallener Japaner liegt. Er war der erste eingelieferte Fall und müsste eigentlich längst tot sein. Aber das Schlitz… ich meine, der Japaner lebt noch immer und denkt gar nicht daran, den Löffel abzugeben.« Er zeigte entschuldigend die Handflächen. »Bitte, ich gebe nur wieder. Es is net bös g'meint. Aber so hat sich wohl die Schwester ausgedrückt. Zudem sagt sie, dass es in der Nähe des Japaners immer mal wieder zu seltsamen Erscheinungen kommt. Irgendwas mit einer Katze oder so.«
Zamorra und Nicole schauten sich elektrisiert an. Auf Katzen waren beide momentan nicht so gut zu sprechen. »Das müssen wir uns unbedingt anschauen. Hört sich interessant an. Wir brauchen unbedingt den Namen der Schwester und ihre Adresse.«
***
7. Mai 1679, Leopoldstadt:
Paul de Sorbait sah sehr wohl, worauf die beiden Geistlichen ihre Aufmerksamkeit richteten. Auf die vier Männer nämlich, die zwei parallele Stangen trugen. Auf der kleinen Holzplattform, die in der Mitte befestigt war, stand ein seltsames Ding. »Auch das ist ein Problem, über das geredet werden muss«, stellte der Pestarzt fest. »In schlimmen Zeiten gibt es zu viel Aberglauben und falsche Frömmigkeit. Die Menschen verlassen sich lieber auf ihre Heiligen und Götzenbilder, als handfest etwas zu tun.«
Normalerweise wäre nun ein Proteststurm der beiden Mönche über ihn hereingebrochen. Die nahmen seine Worte jedoch gar nicht wahr. Gebannt starrten sie auf den pechschwarzen Kelch mit den vier nach oben gebogenen Hörnern, der auf der Plattform stand. Das unheimliche Ding strahlte etwas absolut Böses aus, schwarz leuchtende Nebel wallten daraus hervor. Abraham a Sancta Clara und Franziskus kannten es nur zu gut. Die furchtbar entstellte Dämonin, der sie kürzlich hier in Leopoldstadt begegnet waren, hatte das Relikt getragen. Und es wäre ihnen schlecht ergangen, hätte nicht ein Engel des Herrn zu ihren Gunsten eingegriffen und die Teuflische höchstpersönlich in die Hölle zurückgestoßen. [3]
»Wir müssen hinterher, Abraham.«
Der Augustiner nickte. »Ja, Freund, das ist wohl bitter notwendig.« Sie verabschiedeten sich hastig von de Sorbait, der seiner Wege zog, und schlossen sich der Prozession an.
»Wenn ich es genau bedenke, Abraham, habe ich nicht gesehen, dass dieser Dämonenkelch mit seiner Besitzerin Labartu in der Hölle verschwunden ist«, flüsterte Bruder Franziskus. »Mir ist vielmehr, als hätte sie ihn auf der Straße verloren, als der Engel sie angriff.«
»Hm, ja, du hast Recht, Freund. Auch ich kann mich erinnern, dass der Kelch auf den Boden rollte. Wie dumm wir waren, dass wir ihn nicht gleich aufhoben und vernichteten.«
»Wir haben nicht mehr daran gedacht in diesem grauenhaften Kampf. Aber der Engel des Herrn hätte den Kelch ja ebenfalls entsorgen können. Warum tat er es nicht?«
Woher hätten die beiden auch wissen sollen, dass es sich bei besagtem Engel um Asmodis handelte, der wieder mal seine eigenen Interessen vertreten hatte? Demwar es völlig egal, ob sich die Pest auch weiterhin in der Stadt ausbreitete.
Abraham a Sancta Clara neigte den Kopf zu Franziskus. »Der wunderbare Engel wird seine Gründe gehabt haben, Freund. Wollen wir ihn deswegen also nicht kritisieren. Wir müssen die Sache selber bereinigen. Denn wie heißt es schon in der Bibel: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.«
»Ja, so soll es sein.«
Die Prozession zog vor die Karmeliterkirche und löste sich dort auf. Ein Teil der Gläubigen begleitete den Kelch ins Innere des Gotteshauses, wo er zusammen mit der größten Statue des Karl Borromäus Platz auf einem Seitenaltar fand.
Abraham a Sancta Clara sprach den Pfarrer an. »Lieber Bruder, was tragt ihr da für einen Kelch durch die Straßen? Ein solches Heiligtum ist mir vollkommen unbekannt.«
Pfarrer Nestroy, ein kleiner, dicker Mann mit feistem Gesicht, nickte eifrig. Er wusste genau, wer da vor ihm stand. »Nicht wahr, da staunt ihr, Bruder Abraham. Ich freue mich, den berühmten Hofprediger endlich einmal selbst kennenzulernen. Nun, dieses wunderbare Gefäß sandte uns der heilige Borromäus höchstpersönlich. Er möchte, dass wir es regelmäßig durch die Straßen tragen, dann wird er das hitzige Fieber schon bald von uns nehmen.«
»Wie kommst du nur darauf, dass dieser Kelch vom heiligen Borromäus kommt, Bruder?«
Pfarrer Nestroy lächelte selig. »Nun, es war noch im Januar. Da prangte der Kelch eines Morgens direkt unter dem Bildnis von Borromäus,
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