0867 - Die Pesthexe von Wien
es wohl am Ende der Zeiten aussehen. Aber diese kleinen dreckigen Ratten dort vorne schnappe ich mir.« Sie rannte über den Neuen Markt und fuhr wie ein Ungewitter unter die Plünderer, die gerade ein Antiquitätengeschäft ausräumten. Ihre Arme und Beine wirbelten und hinterließen ähnlich dunkelblaue Flecken wie die magische Pest.
Die jungen Kerle ergriffen stolpernd und fluchend das Hasenpanier. Mäßig zufrieden sah Nicole ihnen nach.
Bruder Laurentius wies nun ebenfalls erste Anzeichen der Pest auf. Große Beulen füllten seine - wie Nicole fand »ekelhaft behaarten« - Achselhöhlen aus. Zamorra schaffte Abhilfe. Auch hier vernichtete Merlins Stern die Pestbakterien im Handumdrehen.
»Danke, Professor. Aber warum hat es bei mir so lange gedauert, bis die Pest ausgebrochen ist? Ich war ja wohl der Erste, der mit diesen Bakterien in Berührung gekommen ist.«
»Anzunehmen. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass Sie tief im Glauben gefestigt sind und eine dementsprechend hell strahlende Körperaura haben«, mutmaßte Zamorra. »Vergessen Sie nicht, dass wir es mit einem dämonischen Phänomen zu tun haben. Die Bakterien brauchten in Ihrem Körper sicher länger, um ihre Wirkung entfalten zu können.«
Das bestätigte sich dadurch, dass innerhalb der nächsten sechs Stunden auch die anderen Kapuziner befallen wurden, obwohl auch sie ganz zuvorderst Berührung gehabt hatten. Zamorra rettete alle.
Bruder Claudius, der Zisterziensermönch, war schon vor zwei Tagen auf eigene Faust losgezogen, nachdem er gemerkt hatte, dass er der Pest auch mit dem Spiegel des Eskil zuleibe rücken konnte. Diese starke magische Waffe, die einst auf Asmodis' Anweisung hin im Inneren Kreis der Hölle geschaffen worden war, diente zwar in erster Linie zur Abwehr Svantevits, gab aber auch den Pestbakterien Saures.
Nun, da die Pest aus seinem Körper war, dachte der Kapuzinerabt auch wieder an die anderen. »Hatten Sie Erfolg, Professor?« Er seufzte schwer. »Wie soll das weitergehen? Ist das Ende der Welt nahe?«
»So weit sind wir noch lange nicht«, widersprach Nicole energisch, obwohl sie kurz zuvor noch ähnliche Gedanken gehegt hatte. »Es wird allerdings Zeit, dass wir unsere Taktik ändern. Wir müssen kriminalistischer vorgehen und schauen, wo die Hexe bisher überall aktiv war. Vielleicht lässt sich daraus ja so eine Art Bewegungsmuster erkennen.«
»Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen, Nici. Vielleicht sollten wir das tatsächlich mal versuchen. Herr Abt, haben Sie vielleicht eine Karte Wiens zur Hand?«
Kurz darauf lag ein Stadtplan ausgebreitet auf dem Tisch. Zamorra zeichnete mit rotem Filzstift Kreise ein. »Dann wollen wir doch mal sehen. Das Biest taucht immer dort auf, wo viele Menschen zusammen sind, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Sie war zweimal im Prater. Einmal bei einem Fußballspiel der österreichischen Nationalmannschaft im Ernst-Happel-Stadion. Dort hat sie fast 50 000 Leute erreicht. Bei ihrer Akrobatennummer auf dem Riesenrad waren es wesentlich weniger, aber immer noch viel zu viele.«
»Hm«, ergänzte Nicole. »Auch auf dem Stephansplatz ist sie hin und her gegangen. Und in der U-Bahn. Was sie allerdings in dem Nachtclub wollte, in dem sie als Table-Dancerin aufgetreten ist, bleibt mir schleierhaft. Dort waren höchstens zwei Dutzend Gäste.«
»Vielleicht mal in einen neuen Beruf hineinschnuppern?«, scherzte Zamorra. »Das könnte auch der Grund sein, warum sie plötzlich schwarzhaarig und nicht mehr blond auftritt. Nein, im Ernst, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir wahrscheinlich nur einen kleinen Teil der Plätze kennen, an denen sie bisher aufgetaucht ist. Dazu kommen die Raben, die die Pestbakterien ebenfalls verbreiten. Da bin ich mir absolut sicher. Die Hexe muss die Tiere in irgendeiner Form magisch konditioniert haben. Ich meine, dass sie schaffen, was bei den Menschen nicht möglich ist: die Pest zu übertragen nämlich.«
Zamorra warf den Filzstift auf die Karte. »Absolut bescheuerte Idee. Das bringt gar nichts, da ist kein Muster zu erkennen. Aber, beim hohlen Backenzahn der Panzerhornschrexe, irgendwas müssen wir ja tun, um nicht ganz verrückt zu werden.«
Zwei Stunden später kam ein Kapuzinerbruder mit einer auf den ersten Blick sensationell anmutenden Neuigkeit an. »Eine Bekannte von mir kennt eine Frau, die wiederum mit einer Krankenschwester des Allgemeinen Krankenhauses befreundet ist. Die Schwester erzählte, dass auf der
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