0867 - Emily
dick gewordenes Blut, und dann, er hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, hörte er die Stimme der Frau.
»Sind Sie noch dran?«
»Sicher.«
»Er hat das Hotel leider verlassen. Vor wenigen Minuten. Ich… es tut mir leid…«
»Sie wissen nicht, wohin?«
»Nein, die Herrschaften geben uns doch keinen Bescheid. Soll ich ihm denn eine Nachricht hinterlassen?«
Bracht überlegte einen Moment. »Lassen Sie das mal. Es ist besser, wenn ich mit ihm persönlich rede.«
»Wie sie wollen, Monsieur. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.«
»Danke, gleichfalls.« Bracht legte auf und hätte sich selbst am liebsten neben den Hörer gelegt.
Was soll ich tun? überlegte er. Die Sachen packen und nach Paris fahren? Das hatte keinen Sinn.
Aber er vertraute Sinclair und ging einfach davon aus, daß es ihm, Suko und Shao gelungen war, die Spur dieser Emily aufzunehmen.
Sie würden das Mädchen finden. Sie würden wahrscheinlich auch die Nacht über bei ihm bleiben.
Und die Nacht war ebenfalls seine Zeit. Da wurde Barry F. Bracht zu Zebulon, da stiegen seine Träume wie Dampf in die Höhe und nahmen feste Gestalt an.
Er würde Sinclair und seine Freunde finden.
In der Nacht, als Zebulon.
Und hoffentlich nicht zu spät…
***
Claire klopfte nie, wenn sie das Zimmer betrat. Das ärgerte Emily immer, schließlich war sie kein kleines Kind mehr. Ein wenig Höflichkeit konnte man schon erwarten.
Auch heute war es so.
Claire wuchtete die Tür auf und blieb auf der. Schwelle stehen, als wäre sie ein weiblicher Offizier.
Mit ihrem scharfen Blick durchforschte sie den Raum, fand nichts, was ihr Mißfallen erregt hätte, und fragte mit scharfer Stimme: »Kommst du frühstücken?«
»Ja, Claire.«
Das hatte sie gesagt. Tatsächlich aber wäre sie gern auf diese Person zugesprungen und hätte ihr die Augen ausgekratzt, oder die Heckenschere genommen und mit ihr…
Schnipp… schnipp…
Die Geräusche wiederholten sich in ihrem Kopf und klangen wie ein helles Sirren. Für einen Moment kam sie sich vor, als hätte sie den Körper verlassen und stünde als Geist neben sich selbst, und auch Claire fiel auf, daß etwas nicht stimmte.
»Hast du was?«
»Nein.«
»Dann komm.«
Claire ließ sie nicht aus den Augen. Sie trat zur Seite, damit das Mädchen vorbeischreiten konnte.
Emily schnupperte. Claire hatte sich wieder mit dieser streng riechenden Seife gewaschen, deren Geruch nicht nur auf ihrer Haut lag, sondern den ganzen Tag über auch in ihren Kleidern hing.
Manchmal wurde sie gerochen, bevor man sie überhaupt sah.
Sie war eine hochgewachsene Frau mit schwarzen, kurzen Haaren, die fransig in die Stirn gekämmt waren. Ihr Gesicht war nicht schön. Es zeigte manchmal eine Härte, wie sie Männern zu eigen war.
Und die Pickel mit den winzigen Härchen darauf, wirkten abstoßend. Claire hatte einen schmalen Mund mit ebenfalls schmalen Lippen, blaß und farblos wie auch ihre Augen.
Sie trug immer ein Kostüm. Oder Jacke und Rock. Selbst bei großer Hitze legte sie die Kleidung nicht ab. An den schmalen Rockgürtel hatte sie den Piepser geklemmt, über den sie immer erreichbar war. Emily mußte vor ihr hergehen, sie wurde von der Wächterin nicht aus den Augen gelassen.
Manchmal hatte Emily den Eindruck, als wäre Claire nur für sie abgestellt worden.
Claire war für sie eine Maschine. Es fehlte nur das Loch oder der Trichter in ihrem Kopf, wo die Befehle eingegeben werden konnten, dann war sie perfekt.
Natürlich gab es noch andere Insassen in dieser Klinik. Die aber lebten für sich, in einem anderen Trakt. Emily war von ihnen isoliert worden, und das fand sie auch als gut, denn mit »Verrückten« wollte sie nun mal nichts zu tun haben.
Sie frühstückte auch allein und durfte dafür in die Küche gehen, wo die dicke Mamsell, eine Frau mit rabenschwarzen Haaren, für Essen sorgte. Sie war immer freundlich, auch zu Emily, und das Mädchen hatte beschlossen, die Mamsell zu belohnen, wenn sie einmal dieses blöde Haus verlassen hatte. Sie nahm sich auch vor, ihrem Freund Zebulon davon zu berichten, aber der Mamsell würde sie nichts sagen.
Die dicke Frau war dabei, Geschirr in die Maschine zu stellen. Als Emily eintrat und einen guten Morgen wünschte, drehte sich die Mamsell um. »Ah, unsere Prinzessin ist da. Wie schön.«
Emily strahlte. Sie mochte es, wenn sie so angesprochen wurde. Claire paßte das weniger, was an ihrem verzogenen Gesichtsausdruck zu sehen war.
Emily holte ihr Geschirr. Die
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