087 - Bei Vollmond kommt der Tod
ich, was mit dir los ist«, sagte Leon Harper ärgerlich. »Du bist verrückt, hast nicht alle Latten am Zaun. Hinter dir sind sie mit 'ner Zwangsjacke her. Hab' ich recht?«
»Ich werde dich zu einem Werkzeug der Hölle machen. Du wirst mir gleich sein…«
»Jetzt habe ich genug von deinem dämlichen Gefasel. Verschwinde, und zwar auf der Stelle, sonst mache ich dich kalt. Bei Gott, ich tu's!«
Der Mann lächelte mitleidig. »Du hast nicht die geringste Chance, dich meinem Willen zu widersetzen.«
Zorn wallte in Harper hoch. Er trat auf den Fremden zu und setzte ihm die Messerspitze an die Kehle.
Wieder huschte dieses herausfordernde, mitleidige Lächeln über das Gesicht des Unbekannten.
»Ich habe keine Angst vor deinem Messer. Du kannst mir damit nichts anhaben.«
»So? Dann werde ich dir jetzt mal ein bißchen wehtun, damit du siehst, wie groß dein Dachschaden ist«, blaffte Harper und verstärkte den Druck.
Die Messerspitze stach in die Haut. Der Mann zuckte nicht einmal mit der Wimper, und er blutete auch nicht.
Das irritierte Leon Harper. Doch er sollte gleich mächtig staunen, denn plötzlich sprossen Haare aus dem Hals des Unbekannten. Harper sah einen dichten Pelz, der sich nach allen Seiten ausbreitete. Das Fell wuchs dem Mann ins Gesicht.
Gesicht?
Oh, Himmel, nein, das war kein Gesicht mehr, sondern eine grauenerregende Monsterfratze. Die Visage eines Ungeheuers!
Leon Harper traute seinen Augen nicht.
Und Flucht war sein nächster Gedanke.
Er dachte nicht mehr an die Beute, sie war ihm nicht mehr wichtig. Er konnte wieder stehlen, woanders. Aber nur, wenn er jetzt mit heiler Haut davonkam.
Ein Ungeheuer! durchfuhr es ihn. Der Kerl verwandelt sich vor meinen Augen in ein Ungeheuer.
Er zog das Messer zurück.
Aus der Kehle des Fremden drang ein aggressives Knurren. Seine Augen hatten sich verfärbt, waren nicht mehr dunkelbraun, sondern bernsteinfarben.
Und die Zähne! Lange, weit vorspringende Fangzähne waren das! Leon Harper schwindelte es vor Angst. Er wirbelte herum. Während er sich drehte, sah er, daß die Hände des Fremden zu Pranken geworden waren, und als er jetzt aus der Höhle stürmen wollte, schnellte eine der beiden krallenbewehrten Pranken auf ihn zu.
Er vermeinte den Treffer schon zu spüren, bevor es hoch zum tatsächlichen Kontakt kam.
Dann streckte ihn der harte Prankenhieb nieder. Sein Gesicht verzerrte sich. Er schluchzte auf und fiel gegen die Höhlenwand.
Das Feuerzeug war lange schon erloschen. Jetzt entglitt es seiner Hand, und Harper schlug lang hin.
Atemlos rollte er auf den Rücken. In der Dunkelheit waren nur die Lichter des Werwolfs zu sehen. Sie leuchteten, als befänden sich in den Augenhöhlen kleine gelbliche Flämmchen.
Und wenn man genau hinschaute, sah man auch das tödliche Raubtiergebiß schimmern.
Leon Harper dachte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Er tastete nach dem Messer, das er beim Sturz ebenfalls verloren hatte, und sprang auf, sobald sich seine Finger um das Heft geschlossen hatten.
Die Bestie wuchtete sich vorwärts. Harper sah es kaum, erahnte es nur und reagierte sofort. Obwohl er vorhin mit dem Messer wenig Erfolg gehabt hatte, setzte er es wieder gegen den schrecklichen Unhold ein.
Was blieb ihm anders übrig?
Der Werwolf katapultierte sich ihm entgegen. Er warf sich genau in die Stoßrichtung des Fahrtenmessers. Die lange Klinge traf den Körper des Ungeheuers.
Harper spürte, wie sie eindrang, und ein Triumphgefühl erfaßte ihn. Er glaubte, das Monster gut getroffen zu haben, und er rechnete damit, daß der verfluchte Kerl nun zusammenbrechen würde, aber sein Wunsch erfüllte sich nicht.
Das Untier blieb auf den Beinen und verstärkte seine Angriffe. Wieder traf die Pranke.
Harper brüllte auf. Die Krallen hatten seine Kleidung aufgerissen und ihm eine schmerzhafte Fleischwunde zugefügt.
In seiner Verzweiflung stach er nochmals zu, doch das Ungeheuer verkraftete auch diesen Treffer mühelos, während sich Leon Harper während des kurzen, heftigen Kampfes so sehr verausgabt hatte, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Einen Herzschlag später fällte ihn der Werwolf mit der Pranke, ohne die Krallen einzusetzen, denn das hätte für Leon Harper tödliche Folgen gehabt, und töten wollte das Untier den Mann nicht.
Harper ging erneut zu Boden, und diesmal hatte er nicht mehr die Kraft, sich zu erheben. Er spürte, wie das Blut warm über seine Brust rann. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise.
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