0871 - Der silberne Tod
war er schon jetzt für mich ein Feind aus einer anderen Dimension.
Kam er endlich?
Nein, er ließ sich Zeit.
Die aber hatte ich nicht mehr. Es gibt Momente, da muß sich ein Mensch schnell entscheiden. Und diese gehörten dazu. Natürlich war es riskant, die Fahrbahn zu überqueren, auch wenn sie nicht sehr breit war, aber es blieb mir keine andere Möglichkeit.
Noch einmal holte ich Luft, Konzentration auf den großen Augenblick. Dann startete ich.
Im Zickzack hetzte ich über die Fahrbahn hinweg. Es war ein Lauf, der dem Wegrennen eines Hasen glich. Ich war schnell, ich rechnete mit Schüssen, die nicht erfolgten, und ich hatte leider den Graben an der anderen Seite vergessen.
Mit dem rechten Fuß zuerst sprang ich hinein, knickte weg und stürzte.
Staub umgab mich, kein Wasser. Trockene Zweige kratzten über die Kleidung und durch mein Gesicht, als ich mich von der Stelle wegbewegte, an der ich gelandet war.
Kein Schuß war gefallen. Niemand verursachte Geräusche, ich ausgenommen, als ich durch den Graben wanderte und ihn dann verließ. Dort war es heller, glaubte ich zumindest.
Vor mir stieg das Gelände an. Es war mit trockenem Buschwerk bewachsen. Grashalme zitterten im Wind, und ich richtete mich langsam auf, um besser sehen zu können. Ich war darauf gefaßt, ihn zwischen die Finger zu bekommen, egal, um wen es sich handelte.
Als ich stand, hing mein Kreuz offen vor der Brust, und die rechte Hand lag auch auf dem Griff der Beretta.
Direkt vor mir war es am hellsten. Da schimmerte der unheimliche Rächer durch die Dunkelheit, wurde aber noch von einem fächerförmig wachsenden Busch gedeckt.
Den drückte er zu Seite.
Nun sah ich ihn ganz. Und plötzlich konnte ich die letzte Reaktion des Abbés verstehen. Denn was da vor mir stand, war unbegreiflich. Es wollte mir nicht in den Kopf.
Es war ein silbernes Skelett.
Hector de Valois.
Mein Ahnherr, mein Vorfahre, denn ich war vor langer Zeit einmal er gewesen.
Hector de Valois - ein Führer der Templer. Aber auch ein grausamer Mörder…?
***
Eine Frage, die sich mir automatisch stellte, und die ich auch nicht aus meinem Innern vertreiben wollte. Gleichzeitig kamen mir andere Bilder in den Sinn. Ich sah die Kathedrale der Angst vor mir, diese enge Schlucht, die tief in ein Bergmassiv hineinschnitt und so etwas wie eine Sackgasse war.
In dieser Sackgasse und an deren Ende hatte das silberne Skelett des ehemaligen Templer-Führers Hector de Valois seine endgültige Ruhestätte gefunden, noch immer verehrt von den Templern, die auf dem rechten Pfad gingen, aber jetzt hatte das silberne Skelett diese Grabstätte verlassen. Warum?
Es war im Prinzip nicht ungewöhnlich, daß es einen Ausflug unternahm. Aber nicht, um sich eine Waffe zu besorgen, weil es damit Morde begehen wollte. In seiner Knochenhand sah ich einen Revolver, dessen Stahl fast ebenso hell schimmerte wie das Skelett. Ich sah deutlich die Trommel des Revolvers und fragte mich, wie viele Kugeln noch in diesem drehbaren Zylinder steckten.
Es war ein Sechsschüsser. Zwei Kugeln hatte er hier verfeuert, also vier, falls nicht nachgeladen worden war.
Es waren verrückte Gedanken, die mir durch den Kopf schossen und auch in diesem Fall gar nicht wichtig waren.
Der silbrig schimmernde Knochenkörper tat nichts. Er stand da und starrte mich an, falls man bei den leeren Augenhöhlen überhaupt von einem Starren sprechen konnte. Da es sich etwas erhöht aufhielt, wirkte es auf mich noch größer als in der Realität. Ein Mensch, der nicht mit Dingen befaßt war, wie sie in meinem Job üblich waren, hätte sicherlich panische Angst bekommen.
Ich dachte an die Waffen, die ich bei mir trug. Zum einen das Kreuz, zum anderen die mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta. Waffen, die ich gegen meine Feinde einsetzte, aber war dieses silberne Skelett des Hector de Valois tatsächlich ein Feind?
Es war ein Mörder, das stand fest. Und es würde auch immer wieder versuchen zu töten, denn für dieses Wesen gab es einen triftigen Grund. Es waren die Verräter aus den Reihen der Templer, die zwar zurückgekehrt waren, was aber von dem Skelett nicht hatte akzeptiert werden können.
Wie sollte ich mich verhalten? Es ansprechen? Versuchen, auf eine Antwort zu hoffen. Ich konnte mit diesem Relikt aus der Vergangenheit kommunizieren, allerdings auf einer anderen Ebene. Nur brauchte ich mir keine Gedanken darüber mehr zu machen, denn Hector selbst war es, der Verbindung mit mir aufnahm.
Ich spürte
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