0871 - Der silberne Tod
seine Botschaft in meinem Kopf. Sie wurde mir auf diese Art und Weise vermittelt, und die Worte waren wie Tropfen, die in mein Gehirn drangen.
»Ich will nur ihn! Ich will nur den Verräter. Ihr anderen sollt fahren. Auch du…«
»Nein, wir…«
»Fahrt! Ich gebe euch genau eine Viertelstunde Zeit. Dann seid ihr verschwunden und habt den Verräter zurückgelassen. Fahrt mit der Frau weg. Schnell weg…«
Er hatte es auf seine Art und Weise mitgeteilt, und ich sah jetzt, wie er sich drehte.
Hector de Valois wandte mir seinen knöchernen Rücken zu. Ich war bereit, auf diese Gestalt zu schießen, hatte schon die Beretta angehoben, als ich spürte, wie schwer mein Arm plötzlich wurde.
Er sackte tiefer, und ich schoß nicht.
Das Skelett ging.
Es hatte auch keinen Sinn, eine Silberkugel in den Knochenkörper zu jagen, sie hätte ihn von einer Tat nicht abhalten können. Aber das Ultimatum stand.
Ich drehte mich um und wollte über den Graben zurück auf die Straße springen. An deren Rand stand Abbé Bloch. Er schaute zu mir hoch. Selbst in der Dunkelheit entdeckte ich die Qual auf seinem Gesicht.
»Du hast es gewußt, nicht wahr?« fragte ich.
Er nickte…
***
Ich schloß für einen Moment die Augen. Diese Zeitspanne brauchte ich einfach, um wieder Herr über mich selbst und meine Gedanken zu werden. Sie sollten nicht abirren, ich mußte mich konzentrieren, ich wollte Fragen stellen, die mir auf dem Herzen brannten, und ich hörte die Stimme des Abbés.
»John, ich muß mich bei dir entschuldigen, aber ich wußte mir keinen anderen Rat. Hättest du mir geglaubt, wenn ich es dir gesagt hätte? Wäre das so gewesen?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Eben.«
Ich öffnete die Augen wieder, und es hatte sich nichts verändert. »Wie lange hast du es schon gewußt?«
»Seit einigen Tagen. Es gab eine Zeugin, die das silberne Skelett aus einem Pfarrhaus hat kommen sehen. Es hat den Pfarrer dort mit einem Kopfschuß tot zurückgelassen, und ich wagte auch nicht, an den Aussagen der Frau zu zweifeln. Wie recht sie hatte, hast du eben bewiesen bekommen.«
»Es ist also Hector de Valois«, murmelte ich und schüttelte den Kopf, weil ich es noch immer nicht fassen konnte. »Himmel, wie habe ich ihn nur falsch eingeschätzt.«
»Hast du das tatsächlich, John? Das glaube ich nicht. Keiner von uns ist überhaupt in der Lage, ein Wesen einzuschätzen, das seit einigen Hundert Jahren tot ist.«
»Das stimmt.«
»Viel haben wir beide nicht von ihm gewußt…«
»Doch, Abbé. Er war ein Gerechter. Er stand auf der richtigen Seite. Er haßte Baphomet.«
»Das stimmt alles. Nur war der Gerechtigkeitssinn vor einigen Hundert Jahren wohl ein anderer als heute. Das mußt du auch bedenken. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen ebenfalls. Sie haben sich gegenseitig angepaßt, und Hector de Valois ist nur den Weg gegangen, den er noch immer für den richtigen hält.«
»Ich kann ihn nicht akzeptieren.«
Bloch hob die Schultern. Ihm fiel es wohl leichter. Dann wollte er wissen, weshalb das Skelett verschwunden war.
»Wir hatten Kontakt miteinander. Auf telepathischer Ebene wurde ich angesprochen, und mir wurde ein Ultimatum gestellt. Wir haben eine Viertelstunde Zeit, um zu verschwinden, aber einen Menschen müssen wir hier zurücklassen.«
»Joseph!«
»Ja.« Ich ballte eine Hand zur Faust. »De Valois will sich den Verräter holen. Ich weiß nicht genau, was dieser Lacombe in seiner Zeit getan hat, als er auf Baphomets Seite stand, für Hector jedoch muß es verdammt schlimm gewesen sein.«
Der Abbé schwieg. »Es gibt keinen anderen Ausweg?«
»Nein. Ich habe es versucht, er ließ sich nicht beirren. Zum erstenmal spürte ich, als ich ihm gegenüberstand, keinen Respekt, keine Ehrfurcht, sondern beinahe kalte Feindschaft. Und diese Tatsache hat mich schon bedrückt.«
»Ja, das glaube ich dir.«
»Wenn wir nicht gehen, wird er uns ebenfalls töten. So habe ich die Sache gesehen.«
Bloch schwieg. Er hätte noch viel sagen können, es wäre nichts konkretes dabei herausgekommen, und so mußten wir uns einfach damit abfinden, daß Hector de Valois der Sieger geblieben war. Vorerst zumindest. Ich wußte auch nicht, wie ich dies ändern konnte.
Mit einem Sprung setzte ich über den Straßengraben hinweg und blieb neben Bloch stehen. Von den anderen wurden wir beobachtet, selbst Suko hatte sich so weit aufgerichtet, daß er durch die Scheibe schauen konnte. Natürlich hatten Lacombe und seine Nichte den
Weitere Kostenlose Bücher