0876 - Die Welt des LARD
Automaten und versetzte ihm einen kräftigen Tritt. Dann drückte sie eine Wähltaste. Die Lichter der Maschine flackerten auf, und in der für die Ausgabe vorgesehenen Aussparung erschien ein Becher mit schäumendem Bier. Moora wiederholte den Trick und kehrte mit zwei vollen Bechern zu dem Tisch zurück.
„So", ächzte sie, während sie sich schwerfällig auf einem Stuhl niederließ: „Jetzt können wir reden."
Nicht eine, sondern fünf Stunden später war Tarmair wieder unterwegs - auf Cainstors Spuren.
Und er säße wahrscheinlich jetzt noch in der Trinkhalle, wenn Moora nicht nach ihrem achten oder neunten Becher schließlich eingeschlafen wäre.
Es war ihm eigenartig zumute, und nicht etwa von dem Bier; denn er selbst hatte nicht mehr als drei Becher getrunken. Er hatte ein Erlebnis gehabt wie noch nie zuvor. Er hatte einem Menschen einen Gefallen getan.
Die Welt Quostoht bot dem Wyn-ger alles, was er zum Leben und für seine Bequemlichkeit brauchte. Begehrte er etwas, so ging oder fuhr er zur nächsten Versorgungsstelle und besorgte es sich. Es gab Dinge - zum Beispiel Getränke in bestimmten Trinkhallen - für die Münzmarken entrichtet werden mußten. Aber selbst Münzmarken wareri in unbeschränkter Menge zu haben, wiederum bei den Versorgungsstellen. Die Welt Quostoht kannte den Begriff des Geschenks nicht. Niemand konnte dem ändern etwas schenken, was dieser sich nicht selbst hätte besorgen können.
So wenigstens hatte Tarmair bisher gedacht. Moora hatte ihn eines Besseren belehrt. Die Alte begehrte etwas, das an keiner Versorgungsstelle zu haben war: Gesellschaft. Sie war abgrundhäßlich, hatte sich wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr gewaschen und strömte den Dunst des Fusels aus, den sie trank, um ihren Kummer zu ersaufen. Es war kein Wunder, daß die Menschen ihre Nähe scheuten.
Tarmair hatte ihr eine Freude gemacht, indem er sich zu ihr setzte und sich mit ihr unterhielt. Und jetzt, da er über die vergangenen fünf Stunden nachdachte, stellte er mit Überraschung fest, daß sie auch ihm Vergnügen bereitet hatten. Moora war voller verschrobener Ideen, die sie bisher mit niemand hatte teilen können. Sie war ein interessanter Gesprächspartner - und viele von ihren Gedanken stimmten mit denen uberein, die Cainstor geäußert hatte.
Der ehemalige Spötter spurte eine Warme in sich, die er nie zuvor empfunden hatte. Es war ihm, als hatte er eine neue Welt entdeckt. Er nahm sich vor ,bei der ersten Gelegenheit nach Westend zurückzukehren und abermals fünf Stunden mit der alten Moora zu verbringen. Allein der Gedanke, welche Freude er dem alten Weib damit bereiten wurde, ließ sein Herz hoher schlagen.
Schon nach einer Stunde hatte sie ihm, wie versprochen, enthüllt, wohin Cainstor von Westend aus gegangen war: ins Kinderland. Tarmair hatte sich daraufhin auf den Weg machen wollen.
Aber als er den traurigen Blick der Alten sah, war er geblieben. Er hatte zu ihr gesprochen, sich mit ihr unterhalten, bis sie am Tisch eingeschlafen war: glucklich und zufrieden.
Er hatte sie nicht gefragt, woher sie ihre Kenntnis hatte. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Cainstor in Richtung des Kinderlands davongefahren war. Denn unmittelbar hinter dem Kinderland lag eine weite, hügelige verbotene Zone, und hinter der Zone wiederum befand sich ein anderes Ende der Welt.
Es war ihm unklar, warum Cainstor nicht denselben Weg noch einmal genommen hatte, den er bereits einmal gegangen war: durch die Blaue Schlucht. Irgend etwas mußte den Alten dazu bewegt haben, seine Vorgehensweise zu ändern. Womöglich rechnete er damit, daß das LARD seit seinem ersten Vorstoß ein waches Auge auf die Gegend rings um Westend geworfen hatte und daher die Gefahr bestand, daß er bei einer Wiederholung des Unternehmens in eine Falle geriet.
Tarmair bewegte sich auf nordöstlichem Kurs. Er passierte die Siedlung, in der sein Haus stand, in einem Abstand von über einhundert Kilometern und erreichte die Grenze des Kinderlands etwa zu Beginn der taglichen Arbeitszeit.
Als er die Grenze überschritt, machte er sich bereits des ersten Vergehens schuldig. Denn es durfte, nach dem Gebot des LARD kein Erwachsener das Land der Kinder betreten. Auf Quostoht wurden die Kinder in dem Alter, in dem sie ihre ersten eigenen Gedanken zu entwik-keln begannen, von den Muttern getrennt und ins Kinderland gebracht. Das Kinderland war eine Mikroweit, in der es ahnlich zuging wie in der wirklichen Welt. Die Kinder wuchsen dort
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