0876 - Die Welt des LARD
Grimroch. „Außerdem habe ich ihn mitgebracht. Er will etwas von dir!"
Grimroch schritt zur Tür und öffnete sie. Als Tarmair den anderen Spötter sah, stockte ihm der Atem.
Spötterarbeit war stets Männerarbeit gewesen. Tarmair hatte nie von einer Frau gehört, die Spötterdienste verrichtete. Hier aber stand eine vor ihm. Sie war jung und schön -aufreizend schön, hatte er einmal geglaubt. Sie lächelte, halb verlegen, halb spöttisch, als sei sie unsicher, welchen Gesichtsausdruck es in einer Lage wie diese aufzusetzen galt.
„Nabalik ...", hauchte Tarmair.
Die junge Frau sagte hastig: „Laß keine Feindschaft zwischen uns sein, Tarmair. Ich folgte dem Ruf, das ist alles. Ich brauche die drei Bilder."
Tarmair war so verwirrt, daß er nicht wußte, wovon sie sprach.
„Bilder...?"
„Die Aufnahmen, die dein Asogene in Cainstros Habe gefunden hat, du Narr!" mahnte Grimroch ihn schroff.
„Oh ja, die!" erinnerte sich Tarmair. Aber noch immer konnte er seinen Blick nicht von Nabalik wenden. „Du meinst, du warst die ganze Zeit über mit Grimroch beisammen und gingst durch die Schulung?"
Nabalik machte stolz die Geste der Zustimmung.
„Ja, das ist richtig."
„Die Aufnahmen!" drängte Grimroch.
Tarmair holte sie. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, händigte er sie Nabalik aus. Sie überzeugte sich, daß der Umschlag wirklich enthielt, was sie erwartete. Später erinnerte sich Tarmair, daß sie beim Anblick eines der Bilder große Augen bekam. Das mußte gewesen sein, als sie den Fremden erblickte, den Riesen.
Grimroch dauerte die Sache anscheinend zu lange. Er faßte Nabalik unter dem Arm und schob sie in Richtung der Tür. Unter dem Ausgang blieb er noch einmal stehen und wandte sich zu Tarmair um.
„Unter anderen Umständen", sagte er, „hätte ich wahrscheinlich Zeit und Gelegenheit gehabt, mich mit deiner Verwirrung zu befassen. Vielleicht wäre es mir sogar gelungen, dir die Gnade des LARD wiederzugewinnen.
Aber die Zeiten sind ernst. Ich habe alle Hände voll zu tun, und deine Narrheit ist so groß, daß ich Wochen brauchte, um dich zu heilen!"
Nach diesen Worten wandte er sich um und trat hinaus. Die Tür schloß sich hinter ihm. Halb benommen trat Tarmair an das Fenster, das die Straße überblickte. Er sah Nabalik und Grimroch Seite an Seite dahin-schreiten. Weiter stadteinwärts gesellte sich ein Asogene zu ihnen. Natürlich sahen alle Asogenen einander gleich, aber dennoch hatte Tarmair unwillkürlich das Gefühl, daß es sich um Raylto handele.
Aber das ist unmöglich, sagte er zu sich selbst. Dann ging er zur Küche und verhalf sich zu einem großen Becher scharf gebrannten Schnapses, weil er ohne dieses Beruhigungsmittel die Ungerechtigkeit der Welt nicht mehr ertragen zu können meinte.
Ein paar Stunden lang saß er in seinem Haus herum und versuchte zu begreifen, wie sein Leben sich durch Grimrochs unerwartetes Auftauchen verändert hatte. Er verstand, daß er von dem Fall Cainstor abgelöst worden war. Was er nicht verstand, war, ob das LARD ihm in Kürze - oder überhaupt irgendwann - einen anderen Fall zu lösen geben werde. Er hatte sich das Mißfallen des Mächtigen zugezogen. Was bedeutete das? War er nun kein Spötter mehr? Stand er nicht mehr im Dienst des LARD?
Er zapfte sich einen weiteren Becher Schnaps, ging in das vordere Zimmer und setzte sich dort in einen Sessel, von dem aus er das Bildgerät unmittelbar vor Augen hatte. Wahrend er an dem Becher nippte, wartete er darauf, daß die Bildfläche zum Leben erwache und das LARD sich melde, um ihm einen neuen Befehl zu geben.
Es geschah jedoch nichts dergleichen. Er frage sich, wie sein Leben aussehen werde, wenn er kein Spötter mehr war. Jeder Erwachsene, ob Frau oder Mann, hatte irgendeine Beschäftigung, der er während der Arbeitszeit nachging. Jeder ergriff einen Beruf, der seiner Neigung entsprach.
Was, fragte sich Tarmair, ist meine Neigung?
Als er den zweiten Becher Schnaps geleert hatte, verspürte er den Wunsch, mit dem alten Prentach zu sprechen. Prentach war ein Aufrührer gewesen. Der neue Spötter, Nabalik, hatte diesen Fall zur Zufriedenheit des LARD gelöst. Mit einemmal empfand Tarmair brennende Neugierde, zu erfahren, wie Nabalik ihren ersten Fall gehandhabt hatte.
Prentach wohnte am südöstlichen Ende der Siedlung. Sein Haus war eines der letzten vor dem Rand der weiten Grasfläche, die sich in östlicher Richtung erstreckte. Tarmair entschloß sich, den Weg zu Fuß zu gehen. Unterwegs
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