0879 - Henker-Dämmerung
Speisesaal. Nacheinander zogen sie sich für ein paar Minuten zurück, um in leichtere Kleidung zu schlüpfen; im Château war gut geheizt und von der Kälte draußen nichts zu spüren. Als sie wieder zusammen waren, nahmen sie an einer bereits gedeckten Tafel Platz.
Zamorra machte eine auffordernde Handbewegung.
»Nun berichte uns, was dich zu uns geführt hat.«
»Mein Name ist Simoor, wie ich schon sagte. Bruder Simoor. Meine Eltern brachten mich in das Kloster der Harmonie, als ich gerade laufen konnte…«
Der junge Mönch erzählte von Anfang an. Nach einiger Zeit kam der ältere Diener herein und brachte Getränke.
Neugierig schnüffelte Simoor an dem gekühlten Glas, das ihm gereicht wurde.
»Das ist ein Martini, Simoor. Aber wenn du als Mönch keinen Alkohol trinken darfst, können wir dir gewiss auch ein Wasser…«
»Oh, das geht schon, Zamorra«, erwiderte Simoor schnell. Er nippte an dem Getränk, das Martini genannt wurde. Es schmeckte so ähnlich wie Wein, aber anders. Er würde sich daran gewöhnen können.
Drei Martinis später hatte der junge Mönch vom glücklichen Klosterleben vor dem Überfall durch den Dunklen Herrscher berichtet.
»Wer ist dieser Dunkle Herrscher?«, hakte Zamorra nach.
»Der Meister der Harmonie hat ihn immer einen Dämon genannt und uns vor ihm gewarnt. Er verlangt von den Menschen Anbetung und absoluten Gehorsam. Er ist böse, Zamorra. Er will alle Länder meiner Welt unterwerfen. Falls er es inzwischen nicht sogar schon geschafft hat. Und ich soll seine Schreckensherrschaft in Go'nam beenden. Mit deiner Hilfe, wie der Geist meines Meisters gesagt hat…«
»Und was ist mit diesem Henker, von dem du erzählt hast?«
Nicole stellte diese Frage. Sie beugte sich interessiert vor.
»Der Henker ist der Künder des Dunklen Herrschers. So nennt sich dieser Schwarzmagier. Er ist gleichzeitig Heerführer und oberster Priester dieser grausamen Lehre.«
»Er besitzt also auch magische Kräfte.«
»Ja, Zamorra. Sonst hätten er und seine Schergen es wohl kaum geschafft, unser stark befestigtes Kloster zu überrennen. Meine Brüder hatten keine Waffen mehr, mit denen sie sich den Invasoren in den Weg stellen konnten.«
Inzwischen wurde das Essen serviert. Es gab gebratenes Fleisch von einem Tier, das Simoor nicht kannte. Jedenfalls schmeckte es ihm gut. Dazu wurde Weißwein gereicht. Damit spülte der junge Mönch seinen Groll herunter.
»Das Schwert«, erläuterte er mit bereits leicht lallender Stimme, »ist für uns Schwert-Mönche nämlich nicht nur Waffe, sondern gleichzeitig auch magisches Mittel. Mit Hilfe des Schwertes können wir eine innere Verbindung zu den Geistern der Natur aufnehmen.«
»Wer sind diese Geister der Natur?«
»Es sind Wesen, die uns helfen wollen, Vollkommenheit zu erlangen. Um in einen Zustand absoluten Glücks jenseits von Leben und Tod zu gelangen.«
»Und wie macht man das?«, fragte Nicole.
»Durch Meditation und Entsagung«, erklärte der junge Mönch. »Verzicht auf Fleisch und Alkohol, keine geschlechtlichen Gelüste…«
Er brach ab, errötete und schob den fast geleerten Teller mit dem gebratenen Fleisch von sich. Schnell, als würde er sich vor Entdeckung fürchten, trank er sein Weinglas aus.
Butler William, der sich im Hintergrund des Raumes aufhielt, trat vor, um dem jungen Herrn nachzuschenken. Vergeblich.
Plötzlich waren Zamorra, Nicole und der junge glatzköpfige Gentleman in der seltsamen Tracht verschwunden. In Luft aufgelöst sozusagen.
Offenbar hat sich ein Dimensionstor geöffnet , dachte William ungerührt. Im Dienst von Professor Zamorra hatte er schon zu viele fantastische Dinge erlebt, um sich noch aus der Ruhe bringen zu lassen. Dann wird der Chef wohl nicht zum Abendessen zurück sein…
Und der Butler begann damit, die Speisetafel abzuräumen.
***
Château Montagne war durch weißmagische Sperren und Schutzzauber erstklassig gegen schwarzmagische Attacken geschützt.
Eigentlich hätte Zamorra also erstaunt sein müssen. Nicole, dieser Simoor und er selbst waren gerade von einer unbekannten Energie aus seinem eigenen Speisesaal in eine andere Dimension gezerrt worden.
Aber andererseits war so etwas schon öfter vorgekommen. Gegen hilfreiche und gute Magie wirkte der Schutzzauber nämlich nicht. Und diese Geister der Natur standen nach Simoors Schilderung offenbar auf der Seite des Lichtes.
Die Reise in Simoors Welt dauerte nur kurz. So weit man überhaupt solche menschlichen Maßstäbe in dieser
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