0882 - Der Sonnen-Dämon
erklärt hatten, daß diese Welt für das alte Wissen noch nicht reif war. Es konnte bis zur Jahrtausendwende dauern, bis sich Menschen fanden, die das Tor zu den Geheimnissen endgültig offneten. Dann würde das dritte Auge, daß bisher noch verkümmert war, seine Pflicht tun, und ich dachte daran, daß auch ich ein drittes Auge bei mir trug. Es war eingraviert in das Metall meines Kreuzes, so daß ich mich indirekt auch zu den Psychonauten hingezogen fühlte.
In diesem Fall ging ich zudem davon aus, es mit zwei echten Psychonauten zu tun gehabt zu haben, nur lebte einer von ihnen nicht mehr, und das machte die Sache nicht weniger kompliziert.
Suko unterbrach meine Gedankenkette. »Ich gehe davon aus, John, daß dieser Fall hier wenig oder gar nichts mit dem zu tun hat, was wir einmal in der Schweiz und in Ägypten erlebt haben. Das rollt hier in eine andere Richtung. Es kann sein, daß sie Psychonauten, die echten, heute nur Mittel zum Zweck sind, denn ihnen sind meiner Ansicht nach andere Feinde erwachsen. Wir haben ihn gesehen, diesen Unheimlichen oder Dunklen, der das Grab betrat.«
»Sorath«, murmelte ich.
»Richtig.«
»Ein Gott, ein Götze…«
»Oder Dämon.«
Ich hob die Schultern. »Jedenfalls einer, der mit der Sonne zu tun hat. Es ist kaum zu fassen, denn bisher haben wir die Sonne immer nur als positiv eingeschätzt, aber…«
»Denke daran, John«, unterbrach Suko mich, »daß eine Sonne auch verbrennen kann.«
»Stimmt.«
»In diesem Fall will sie kein Leben schaffen, sondern es vernichten. Ich bin davon überzeugt.«
»Und ich auch«, sagte Shao, die soeben das Zimmer betrat und ein Tablett trug. Auf ihm standen eine Kanne und zwei Teller mit frischem Rührei sowie Speck.
Suko und ich hatten es uns gewünscht. Die Kanne mit dem Kaffee war für mich, der Tee stand schon bereit, auch Shao nahm Platz und hörte meine Frage.
»Wie hast du das gemeint, daß die Sonne in diesem Fall vernichten kann?«
Shao lächelte und faltete dabei ihre Serviette auseinander. »Das ist sehr leicht zu erklären. Auf der Welt gibt es nicht nur Gutes. Scheint die Sonne nicht, ist es nicht gut, scheint sie zu lange, tritt der gleiche Effekt ein. Gefährlich kann es auch werden, wenn jemand die Sonne zu einem Kult hochstilisiert.«
Ich runzelte die Stirn. »Denkst du dabei an den Jungen?«
»Auch.«
»Gehört er dem Kult an?«
Shao schenkte Tee ein. »Ich weiß es nicht genau. Ihr wißt selbst, daß ich in der letzten Nacht intensiv geträumt habe. Vieles von dem ist mir in Erinnerung geblieben, aber einiges habe ich vergessen. Ich denke, daß es wichtig gewesen ist, und ich hoffe, daß es mir irgendwann wieder einfällt.« Shao trank einige kleine Schlucke. Ihr Gesicht zeigte einen sehr angestrengten Eindruck.
»Da ist etwas gewesen, das man mir mitteilte, ich finde nur die Erinnerung nicht.«
»Wer teilte es dir mit?« fragte Suko. »Der Junge?«
»Ja.« Sie nickte heftig. »Ihr konnt zu ihm stehen, wie ihr wollt. Ich aber bin der Meinung, daß er auf meiner Seite ist. Er hat einen Verbündeten gesucht und ihn in mir gefunden.«
»Das weißt du genau?«
Shao stimmte mir zu. Dabei schaute sie auf den Teller, der noch leer war. Auch wir rührten unser Ei nicht an. »Es gibt leider noch eine Lücke«, erklärte sie. »Und ich hoffe, daß sie irgendwann einmal gefüllt wird. Nicht irgendwann, nein, sondern innerhalb einer kurzen Spanne. Ich habe den Eindruck, daß die Zeit drängt.«
»Der Junge will also, daß du ihm zur Seite stehst?«
»So ist es, John«, erklärte Shao lächelnd. »Er hat in mir eine Freundin gefunden. Das ist meine Verbindung zur Sonnengöttin. Kinok ist sehr sensibel. Er hat genau gespürt, was da, auf uns zukommen kann, und er will auch nicht so weitermachen, wie er einmal angefangen hat, versteht ihr das?«
»Inzwischen schon«, gab ich zu. »Allerdings frage ich mich, wobei du oder wir alle ihm helfen sollen.«
»Das ist eben die Lücke, von der ich gesprochen habe.«
»Bestimmt nicht gegen die Psychonauten«, sagte Suko. Er fing damit an, Ei und Speck auf seinen Teller zu schaufeln. »Daran glaube ich nicht. Es muß eher so sein, daß wir den Psychonauten zusammen mit Kinok den Rücken stärken. Darüber konnte uns Laroche mehr sagen.« Er reichte mir die Pfanne rüber und sah mein Nicken.
»Ich werde versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Wir finden bestimmt heraus, wo er in Paris wohnt, dann können wir mit ihm sprechen. Das macht gar nichts…«
»Tja«, murmelte
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