0883 - Mörderisch
Schritten hetzte er über die Straße, umweht von den grauen Nebelschleiern. Keiner sah ihn, niemand war bereit, auf die Straße zu schauen. Um den abgestellten Wagen kümmerte sich auch niemand.
Natas erreichte ihn. Sein empfindliches Gehör hatte bereits auf dem Weg zum neuen Ziel etwas wahrgenommen, und seine Nase hatte etwas gerochen.
Da war ein Mensch!
Er hatte einen ihm bekannten Geruch abgestrahlt. Auf keinen Fall war er neu oder frisch. Er hatte ihn schon des öfteren wahrgenommen. Auch im Knast.
Ein Mensch!
Fleisch!
Guthry umrundete die Kühlerschnauze. Er schlich an der Seite entlang, den Blick zu Boden gerichtet, wo er die Gestalt hocken sah. Sie hatte ihn auch schon gesehen und den Kopf angehoben.
Natas hörte das Stöhnen, danach die gestammelten Worte. Dann zeigte er sich. Mit einem großen Schritt näherte er sich dem Mann, drehte sich und blieb vor ihm stehen.
Ein zischendes Geräusch verließ Guthrys Mund!
Sam Wilde starrte ihn an. Er konnte es nicht fassen, den anderen hier zu sehen. Schon einmal war er fast irrsinnig geworden. Er hatte bei dieser letzten Bewegung darum gefleht, am Leben gelassen zu werden. Und dann hatte er gebetet, als er gesehen hatte, daß Flehen allein nichts würde helfen können.
Alte Gebete aus seiner Kindheit. Er hatte Sätze und Worte aus dem Ritual der Heiligen Messe zitiert, und so war es ihm bei der ersten Begegnung gelungen, den anderen zu verscheuchen, obwohl über Sam selbst der Wahnsinn gekommen war.
Er wußte, daß er nicht mehr die Kraft hatte, um neue Gebete zu finden. Sein Körper war ausgelaugt, die Seele ebenfalls, und Natas wußte es auch.
Deshalb grinste er.
Gelassen beugte er sich vor. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den Sam nicht deuten konnte.
Oder doch?
War es Hunger?
Der Hunger nach ihm, den Menschen?
Slim Guthry streckte einen Arm aus. Er suchte das Fleisch auf Slims Wangen, der nicht in der Lage war, auch nur ein Wort zu sagen. Natas grinste böse.
»Fleisch«, flüsterte er, »Fleisch…«
Und dann tat er, was er tun mußte…
***
Ich riß die Tür der Gaststätte auf, als die Schreie verstummt waren. Wahrscheinlich konnte die Frau nicht mehr. Sie war völlig von der Rolle, saß nicht, stand nicht, sondern lag schräg über einem der Tische und hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben. Sie schluchzte, sie jammerte, sie nahm die Umwelt nicht mehr zur Kenntnis, sie war völlig fertig.
Ich war schnell gelaufen und blieb dicht hinter der Tür für einige Sekunden stehen, bis sich mein Atem beruhigt hatte. Dann erst ging ich langsam auf die Frau zu, schaute mich dabei sehr genau um, ohne allerdings eine weitere Person entdecken zu können, die mir oder der Frau gefährlich wurde.
Wir beide waren allein.
Ich sah auch keinen Toten, nicht, was diese Person in das Grauen hineingetrieben hätte, aber es mußte etwas Schreckliches vorgefallen sein, davon war auszugehen.
Eine unmittelbare Gefahr bestand nicht, so konnte ich mich zunächst um die Frau kümmern. Ich trat dicht an sie heran, berührte behutsam ihren Rücken, ohne daß sie reagiert hätte. Nach wie vor blieb die Person, von der ich annahm, daß es die Wirtin war, auf dem Tisch liegen, und ein Schütteln durchlief ihren Körper.
Obwohl ich für ihren Zustand Verständnis aufbrachte, war sie doch eine wichtige Zeugin. Sie mußte einfach reden, und sie wehrte sich nicht, als ich sie an den Schultern hochhievte, meinen Arm um sie legte und sie zu einem der Stühle führte, auf den ich sie niederdrückte. Die Frau ließ alles mit sich geschehen. Durch den nach vorn gesunkenen Kopf war es mir kaum möglich gewesen, einen Blick in das Gesicht zu werfen. Als ich es dann tat, sah ich, wie aufgequollen die Haut war. Ihre Augen schwammen in Tränen.
Reden konnte sie in ihrem Zustand nicht. Ich suchte nach einem Mittel, das sie ein wenig zurück in die Realität brachte.
In einem Regal hinter der Theke standen mehrere Flaschen zur Auswahl. Ich entschied mich für einen Whisky, ließ das Zeug in ein Glas gluckern und beobachtete die Person.
Wahrscheinlich hatte sie mich gar nicht zur Kenntnis genommen. Sie weinte und starrte ins Leere.
Die Hände waren ineinander verkrampft, als wollte sie ein Gebet sprechen, doch den Text schien sie vergessen zu haben.
Ich ging zu ihr. Selbst als ich vor ihr stehenblieb, hob sie kaum den Blick.
Ich versuchte es mit einer Ansprache. »Darf ich fragen, wie Sie heißen, Madam?«
Den Namen Maggie verstand ich. Was danach folgte, ging in einem
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