0884 - Mondwölfe
sie in die Augen des Mannes und entdeckte darin die ungewöhnliche Veränderung, die sie wieder an ein Raubtier erinnerte.
Lieber Gott, laß es nicht wahr sein! hämmerte es durch ihren Kopf. Das ist ja Wahnsinn! Das ist verrückt! Das ist einfach nicht zu fassen. Es soll nicht wahr sein, bitte nicht!
Jackson selbst sprach sie auf seinen Zustand nicht an. Er redete sehr allgemein, lächelte sogar und sagte mit leiser Stimme: »Wolltest du uns nicht ein Frühstück holen?«
»Ja, ja, das wollte ich.« Sie nickte. »Du hast Hunger?«
Nein, Rita hatte keinen Hunger, aber sie sagte genau das Gegenteil von dem.
»Das ist gut, auch ich habe Hunger. Und deshalb werden wir gemeinsam frühstücken. Aber du brauchst dir wegen des Essens keine Sorgen zu machen, Süße. Hättest du in den Kühlschrank geschaut, hättest du gesehen, daß noch genügend vorhanden ist.« Er drehte sie um und schlug ihr die flache Hand gegen den Rücken. »Los, Süße, in die Küche! Ich brauche was, bevor ich dich noch einmal rannehme.«
Rannehme, hatte er gesagt!
Dieses letzte Wort jagte wie ein Stich durch ihren Kopf. Ihr Gesicht verzog sich vor Ekel, was er zum Glück nicht sehen konnte.
Wie eine Schlafwandlerin ging sie in die Küche und erwachte erst dann, als sie vor dem Kühlschrank stand. Jackson war ihr gefolgt. Auf der Türschwelle blieb er stehen.
»Mach Kaffee!«
Sie nickte.
Jackson setzte sich. Es gab keinen Tisch. Dafür so etwas wie eine Eßbar. Das Brett nahm die Breite des Zimmers ein. Es war nur ein schmaler Tapeziertisch, der von zwei Dreiecken aus Metall gestützt wurde. Davor standen drei alte Barhocker.
Grinsend nahm Jackson auf dem einen Platz! Er schaute zu, wie die Frau Geschirr aus einem offenen Regal nahm, wo auch die Kaffeemaschine stand. Sie fand die Dose mit dem Kaffee, zog ein Papierfilter aus der Packung und füllte Kaffeepulver hinein.
Jackson schaltete inzwischen das winzige Radio ein. Ein Sender brachte flotte Morgenmusik, und ein Moderator sprach dazwischen. Er freute sich, daß an diesem Tag Freitag war und wünschte ein schönes Wochenende.
Auch Rita Buckly hörte die Worte. Sie konnte ihnen nicht glauben. Wenn es ihr nicht gelang, so schnell wie möglich von hier wegzukommen, dann würde das Wochenende für sie zu einer Hölle werden oder sogar zu etwas Schlimmerem.
Sie schauderte. Die auf den Untertassen stehenden Tassen vibrierten leise, und Rita war froh, daß sie das Geschirr endlich auf dem Tisch abstellen konnte.
»Nervös?« fragte Jackson.
Sie hob die Schultern und drehte sich weg. Hinter ihm hörte sie sein Lachen.
Reiß dich zusammen, Rita, reiß dich um Himmels willen zusammen! Du darfst nicht durchdrehen, du mußt die Nerven bewahren. Cool bleiben, dann wird sich irgendwann auch eine Chance für dich ergeben. Du hast alles geschafft, auch das hier wird vorbeigehen. Dabei wunderte sich die Frau über ihren Mut, als sie Jackson fragte, ob sie sich ihre Handtasche holen durfte.
»Warum das denn?«
»Weil ich mich kämmen will.«
Er starrte sie für einen Moment mißtrauisch an, und die Frau versuchte, ein so harmloses Gesicht wie möglich zu machen. Sie war beruhigt, als er nickte.
Mit zitternden Knien, aber inzwischen doch etwas mutiger, verließ sie die Küche.
Die Handtasche stand noch neben dem Bett. Rita hob sie an, kehrte in den Flur zurück und sah Jackson in der offenen Küchentür stehen. Er hatte ihr nicht getraut, sein Grinsen sagte alles.
Vor dem Spiegel blieb sie stehen. Das Licht hatte sie mittlerweile eingeschaltet, den Kamm aus der Tasche geholt, und als sie sich jetzt anschaute, da bohrte sich das Erschrecken tief in ihre Brust.
Himmel, wie sehe ich aus!
Gealtert, schrecklich gealtert. Es lag nicht an der vergangenen Nacht, es war die Angst, die ihre Gesichtszüge hatte grau werden lassen. Tiefe Furchen durchzogen die Haut. Die Lippen waren so blaß, daß sie sich kaum von der Haut abhoben.
Die Angst hatte es tatsächlich geschafft, ihre Zeichnung im Gesicht der Frau zu hinterlassen. Im Magen lag ein Klumpen. Automatisch strich sie mit dem Kamm durch ihr Haar und entdeckte auch wieder die grauen Strähnen. Sie würde sich das Haar nachfärben lassen müssen oder - Mist, es war egal. Für sie zählte nur, aus dieser Hölle heil herauszukommen.
»Es reicht, ich habe Hunger!«
Und ich nicht, dachte Rita, denn in ihrem Magen lag die Furcht wie ein würgender Klumpen, der in Richtung Kehle wanderte. Der Kamm verschwand wieder in der Tasche, dann ging sie in die
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