0887 - Das Horror-Pendel
versuchte sie, in seinem Gesicht den Grund des Besuchs zu erkennen. Sie fürchtete sich auch davor, eine schreckliche und endgültige Nachricht zu hören, das nahm Harry an.
Um ihr diese Angst zu nehmen, lächelte er einige Male. Auf Milch und Zucker verzichtete er. Er wartete, bis auch Karin Hollmann getrunken hatte und lobte das Getränk nach dem ersten Schluck.
»Herr Stahl, Sie sind sicherlich nicht hergekommen um meinen Kaffee zu loben.«
»Das stimmt.«
»Es geht um meinen Mann.«
Er antwortete durch ein Nicken und sagte dann: »Ich kann Ihnen leider nicht mitteilen, daß Ihr Mann noch lebt, da bin ich ehrlich.«
Sie schaute aus dem Fenster. »Ich habe es mir schon gedacht, aber gefunden haben Sie ihn auch nicht.«
»Stimmt.«
Karin Hollmann nickte vor sich hin. Sie wollte reden, das sah Harry Stahl, und er ließ sie auch sprechen. »Es ist nicht einfach für mich, mit dem Wissen zu leben, daß mein Mann verschwunden und bisher noch nicht wieder aufgetaucht ist. Damit komme ich nicht zurecht. Ich sitze hier, habe mir Urlaub genommen, was vielleicht falsch ist, sitze also hier, zerbreche mir den Kopf und komme zu keinem Ergebnis. Mein Mann ist und bleibt verschwunden. Es kommt mir beinahe vor wie ein schlechter Witz, aber leider ist es zu ernst. Sie kennen ja die Geschichte von dem Mann, der aus dem Haus geht und für den Rest seines Lebens verschwunden bleibt.« Hastig trank sie zwei Schlucke Kaffee. »So ähnlich komme ich mir vor. Dann sage ich mir wieder, daß es nicht sein kann, daß es so etwas bei mir nicht gibt. Immer nur bei den anderen, aber doch nicht bei einem selbst.«
Harry gab ihr recht. »Das kann ich schon nachvollziehen.«
»Eben. Ich warte hier. Manchmal weine ich, dann lache ich sogar, weil ich denke, daß es ein Witz ist. Als Sie schellten, dachte ich, daß es Heinz wäre, aber statt dessen kommt ein Mann in meine Wohnung, der mir sagt, daß er für die Regierung arbeitet oder wie auch immer.« Sie blickte den Besucher aus schmalen Augen an.
»Das Rätsel um sein Verschwinden wird dadurch noch größer.«
»Ich kann es nachvollziehen.«
»Und ich frage mich, was mein Mann mit der Regierung zu tun gehabt hat, Herr Stahl.«
»Nichts, eigentlich.«
»Eben, so sehe ich das auch. Die nächste Frage liegt natürlich auf der Hand. Weshalb sind Sie dann hier? Was wollen Sie wirklich? Können sie mir das sagen?«
Harry betrachtete die Tasse. »Daß es um Ihren Mann geht, wissen Sie, Frau Hollmann. Ich bin zudem kein Polizist, wie unten an der Ecke. Meine Kollegen und ich kümmern uns um Fälle, die, ich will mal sagen, den Rahmen des Normalen sprengen. Ihr Mann ist verschwunden, und dieses Verschwinden sprengt den Rahmen des Normalen.«
Karin Hollmann runzelte die Stirn. »Wir leben hier in Hamburg, einer Millionenstadt mit einem riesigen Hafen. Da verschwinden immer wieder mal Menschen. Wenn jemand nach zwei oder drei Tagen nicht zurückgekehrt, dann ist es noch lange kein Grund für die Polizei, einen Spezialisten zu schicken. Das gibt es eben, daß Männer oder Frauen einfach abhauen, daß ihnen alles aus dem Hals raushängt, daß es ihnen einfach stinkt und sie nicht mehr weitermachen wollen. Das liest man immer wieder in den Zeitungen. Es ist noch längst kein Grund, um einen Spezialisten zu schicken.«
»Richtig.«
»Dann ist das Verschwinden meines Mannes also nicht der ›Normalfall‹!«
»Kann man so sagen.«
»Aha.« Karin Hollmann nickte. »Das habe ich mir gedacht. Das habe ich sogar gewußt und es überrascht mich nicht, Herr Stahl. Irgend etwas steckt dahinter. Hat mein Mann ein Doppelleben geführt? War er etwa nicht nur in einer Firma als Sachbearbeiter beschäftigt, wo er sich um den Verkauf von Containern kümmerte? Hat er vielleicht ein Doppelleben geführt? War er ein Agent?«
»Nein.«
»Es beruhigt mich nicht mal, daß Sie mir diese Antwort gegeben haben.«
»Er war kein Geheimagent, er stand auch nicht auf der Lohnliste irgendeiner staatlichen Organisation, wenn ich das mal so sagen darf. Er ist einfach verschwunden – wie fünf andere hier in Hamburg vor ihm. Das ist es, Frau Hollmann.«
Karin Hollmann starrte ihren Besucher an, als hätte er etwas Schreckliches gesagt. Für sie war es auch irgendwo schlimm, und sie mußte erst damit fertig werden. »Moment mal«, murmelte sie.
»Dann ist mein Mann nicht der einzige gewesen, der spurlos verschwand? Wie viele denn noch?«
»Fünf weitere Fälle gab es.«
Die Frau wurde bleich. »Fünf weitere
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