0889 - Eishauch des Todes
Mordserien, von denen Pierre gesprochen hat, tatsächlich eine solche Puppe steht. Noch ist es nur eine Vermutung, auch wenn es nahe liegt. Serienmorden, bei denen sich die Opfer äußerlich gleichen, sind nicht gerade alltäglich.«
Nicole ballte die Rechte zur Faust und stieß sie ihrem Geliebten gegen die Schulter. »Nicht unsere Gegner? Hast du sie noch alle, monsieur le professeure! Ich würde jemanden, der mir einen Dolch in den Brustkorb rammt und mich dann ertrinken lassen will, während er dich umzubringen versucht, nicht gerade als Busenfreund bezeichnen.«
»Busen ist ein gutes Stichwort! Sieh zu, dass du wieder fit bist, wenn ich zurückkomme.« Er grinste breit. »Aber zurück zum Thema - sag selbst: Ist es für unsere Gegner typisch, dass sie ein derart schlechtes Gewissen bekommen, dass sie sich lieber selbst umbringen, als weiter zu morden? Und dass sie ganz offensichtlich Angst davor haben, ein Monster zu sein?«
»Du hast gewonnen. Ich bleibe hier. Aber wenn ich länger als zehn Stunden nichts von dir höre, komme ich nach und werde dich retten. Vielleicht bringe ich auch Fooly mit.«
»Soll das eine Drohung sein?«
***
Kalt.
Es war so furchtbar kalt.
Monika weinte. Wie hatte das nur geschehen können?
Wie hatte sie nur nach Lyon kommen können, um dort die Hölle zu erleben?
In diesen Momenten, als das Leben aus ihr kroch, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als wieder in Deutschland zu sein. Dabei hatte sie sich so sehr auf diesen Trip gefreut. Das Abitur lag gerade hinter ihr, sie hatte seit zwei Jahren in einer Kneipe gejobbt - ein einträglicher Job dank ihrer Figur und ihren engen Klamotten, die ihr eine Menge Trinkgeld einbrachten.
Sie war so stolz gewesen auf ihr Gesicht, das die Jungs scharenweise um den Verstand brachte, zumindest in Kombination mit einem weiten Ausschnitt. Die gewellten wasser-stoffperoxydblonden Haare taten ihr Übriges… jeder lag ihr zu Füßen.
Jeder.
In Deutschland genauso wie hier in Paris - sie stand den kleinen Französinnen in nichts nach und hatte seit ihrer Ankunft vor einer Woche auch schon einen smarten Jungen gefunden, der ihr zeigte, was die legendäre französische Liebe war…
Jeder lag ihr zu Füßen.
Jeder.
Außer ihrer Mörderin. Denn dieser lag sie zu Füßen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Tränen zogen eine feuchte Spur über Monikas Wangen. Dort wurde die Haut noch kälter als überall sonst.
Ihr Verstand versank in dieser Kälte, trudelte in eine Tiefe, aus der er sich nie wieder erheben würde, das wusste sie genau. Wie irrsinnig es doch war, dass ihr ein Begriff nicht mehr aus dem Kopf ging, eine geradezu wunderschöne, poetische Umschreibung, die das Entsetzliche beschönigte.
Ja, sie fühlte ihn, den Eishauch des Todes.
Er ging von ihrer Mörderin aus, von ihrem Mund oder von ihrer ganzen Gestalt. Monika konnte es nicht genau zuordnen. Und welche Rolle spielte es auch?
Keine, denn tot war tot.
Wenigstens tat es nicht weh.
Davor hatte sie immer Angst gehabt, seit sie zugesehen hatte, wie ihre Mutter von Krebs zerfressen worden war. Wie hatte sie geschrieen. Wie hatte dieses Leid in ihren Augen gestanden.
Monika weinte noch mehr, nicht mehr nur um sich, sondern auch um ihre Mutter. Nun würde sie sie wieder sehen, viel früher, als sie das für möglich gehalten hätte.
Ich komme, Mama , wollte sie sagen, doch ihre Lippen fanden nicht mehr die Kraft, diese wenigen Worte zu formulieren. Sie waren längst steif gefroren.
Die Augenlider ließen sich auch nicht mehr schließen. Es war entsetzlich. Ein eigenartiges Gefühl, und doch auf seltsame Weise erträglich. So sah sie zu ihrer Mörderin auf.
Sie sah genau so aus wie sie. Ebenso schlank, ebensolche festen Apfelbrüste, ebenso einen anmutigen langen Hals. Aber das Gesicht… dieses Gesicht…!
Roh war es. Und unfertig.
Die Wangen bildeten eine seltsam schrundige Masse, wie ein Gebirge, das jedoch die endgültige, angestrebte Form erahnen ließ - ihre Form. Und von Sekunde zu Sekunde wurde dieses Antlitz erkennbarer, in demselben Maß, in dem Monika starb.
Ebenso die Augen - aus rauen Kugeln bildeten sie sich aus, wunderschön und doch unendlich kalt. So kalt wie der Eishauch, der Monika umwehte und ihr das Leben stahl.
Die Lippen, die Haare… alles wurde mehr wie Monika, wurde menschlicher.
Jetzt bewegte sich die Mörderin, und die Gelenke knarrten wie Holz. Sie beugte sich zu ihrem Opfer hinab.
Gerade als Monika endgültig hinwegschwebte, seltsam
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