089 - Lebende Leichen
stiegen und durch das Tor über die Hängebrücke fuhren. Die alte, schwerhörige Haushälterin war wie meistens in ihrem kleinen Reich und kümmerte sich um nichts, was außerhalb zuging.
Das Feld für Larry Brent war frei.
Er ging quer über den Schloßhof zum Rundturm.
Er war gewissenhaft mit sich zu Rate gegangen, ob er einen solchen Weg wählen sollte, um hinter das Geheimnis des Turmes zu kommen. Daß dieser ein Geheimnis barg, stand für X-RAY-3 außer Zweifel. Kurt Parsini war allen Fragen aus dem Weg gegangen, und seine mehrfache Erklärung, daß der Turm leer und unbewohnt sei, stimmte einfach nicht. Es ging um zu wichtige Dinge.
Larry Brent hatte keine Ahnung, was ihn im Turm erwartete. Vielleicht hing es tatsächlich mit den düsteren Vorgängen in Moolstadt zusammen. Dann konnte der Amerikaner beim besten Willen keine Rücksicht auf Kurt Parsini nehmen. Vielleicht war das Geheimnis auch anderer Art. Er wußte es nicht, aber er mußte auf jeden Fall endlich Klarheit gewinnen.
Er stand vor der Tür, die ins Innere des Turmes führte. Das Schloß war neu. Aber es bot Larry Brent keine große Schwierigkeiten.
Die Tür öffnete sich überraschend lautlos. Die Scharniere mußten frisch geölt sein. Im Schein seiner Taschenlampe sah sich Larry in einem fast leeren Raum. Gegenüber war eine zweite Tür. Sie war verschlossen und führte offensichtlich auf der Rückseite des Turmes hinaus in den angrenzenden Wald. Außerdem war noch eine dritte Tür auf der rechten Seite.
Sie ließ sich öffnen, und Larry Brent sah, daß es von ihr hinunter in ein Kellergewölbe ging.
Eine steinerne Treppe führte von diesem fast leeren Raum in Windungen den Turm hinauf.
Die Stufen waren im Lauf vieler Jahre fast ausgetreten. An den Rändern lag dichter Staub.
Aber in der Mitte der Treppe sah Larry Brent zahlreiche Abdrücke von Männer- und Frauenschuhen. Die Treppe mußte von Kurt Parsini und Yvette oft benutzt worden sein.
X-RAY-3 setzte seine Füße sorgsam in die schon vorhandenen Fußspuren und stieg die Treppe hinauf, in der Höhe des ersten Stockes war wieder ein Raum und eine weitere Tür.
Der Schlüssel steckte innen. Als Larry Brent die Tür öffnete, sah er in einen Gang, der offenbar bereits zum linken Flügel des Schlosses gehörte. Er ahnte nicht, wie wichtig er in wenigen Stunden für ihn werden sollte.
Dann führte die Treppe in zwei Windungen in das oberste Stockwerk hinauf. Sie endete dort vor einer hölzernen Tür. Diese war zu, aber das Schloß war schon reichlich alt und noch viel weniger ein Hindernis als das an der unteren Tür. Kurt Parsini hielt sich in seiner Einsamkeit offenbar für sehr sicher. Vorausgesetzt, daß hinter der Tür tatsächlich ein Geheimnis lag.
Das Türschloß schnappte auf, Larry Brent trat ein.
Durch die beiden Fenster, die an der gegenüberliegenden Wand lagen, fiel das Licht der untergehenden Sonne.
Erstaunt sah sich der PSA-Agent um. Das hatte er nicht erwartet, obwohl es doch so nahe gelegen hatte. Er erkannte auf den ersten Blick, wo er sich befand, in einem Maleratelier.
Ringsum hingen Bilder, Ölgemälde, dazwischen Grafiken. Auf einer Staffelei stand ein unvollendetes Werk. Mehrere Tische waren mit Flaschen, Tuben, Pinseln und den sonstigen Utensilien eines Malers bedeckt. An einer Wand hingen weiße Kittel, mit Farbklecksen übersät.
Larry Brent stand in Yvettes Reich. Das war also des Rätsels Lösung! Deshalb die Geheimniskrämerei.
Larry mußte lachen. So konnte man sich täuschen!
Aber das Lachen erstarb ihm im Mund.
Sein Blick fiel auf ein Ölgemälde an der Wand. Es zeigte eine einsame Pappel gegen einen blaugrünen Himmel.
Das war doch ein van Gogh!
Sein Blick wanderte weiter. Und dort drüben, das Bild, das das Innere eines kleinen Cafés zeigte, das war doch auch ein van Gogh! Und das kleine Männerporträt daneben ebenfalls!
Hier hing ja ein unglaubliches Vermögen an den Wänden.
Plötzlich fiel Larry Brent ein, was ihm Inspektor Horvath über den Kriminalisten Dr. Otto Sobetzky erzählt hatte. Er hörte noch die Worte in seinem Ohr: » Er war mit einer ganz anderen Affäre beschäftigt, mit gefälschten Bildern von van Gogh, die seit einiger Zeit den internationalen Markt beunruhigen. «
Larry Brent trat vor das unvollendete Gemälde auf der Staffelei. Ein Kornfeld, ein schwarzer Baum darin, zwei Vögel. Hier entstand auch ein van Gogh. Jahrzehnte nach dem Tod des großen holländischen Malers.
Es waren alles meisterhafte Fälschungen.
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