0891 - Knochenklaue
Haaren und fleischigen Händen. Sein Gesicht strahlte eine gewissen belmondohafte Männlichkeit aus, nur die in den Augen lauernde Furcht paßte nicht dazu, aber sie war berechtigt, wie wir meinten, als wie erfahren hatten, was ihm und seiner Tochter Ann widerfahren war.
Auch Ann war überfallen und beinahe erwürgt worden, und meine Theorie nahm immer mehr Substanz an.
Es mußte zwei Skelette geben. Einmal der Vater und zum anderen die Tochter.
Daß Donata überfallen worden war, konnte ich, auch wenn es mir schwerfiel, noch irgendwie nachvollziehen. Was aber Ann Cordy mit der Sache zu tun hatte, verstand ich nicht, doch ich war überzeugt, daß sie uns keine Lügengeschichten erzählt hatte.
Und auch ich hatte den beiden Cordys die Wahrheit erzählt. Sie wußten jetzt, wer ich war, und ich hatte ihnen mit einigen Worten auch meinen Beruf nahegelegt. Das hatte sie natürlich in großes Staunen versetzt, aber weitere Fragen hatten sie nicht gestellt.
»Wenn Sie schon einmal hier sind«, sagte Richard Cordy, der sein Glas mit Brandy umklammert hielt, »müßten Sie doch eigentlich einen Weg sehen, dieses Grauen zu stoppen.«
Ich nickte. »Den gibt es auch, denke ich mir.«
»Welcher ist das?«
»Dazu brauche ich aber Ihre Tochter Ann.«
»Was?« Er wollte in die Höhe springen, aber ich legte ihm die Hand auf die Schulter, und so blieb er sitzen.
»Ja, ich brauche sie. Ebenso brauche ich Donata McBain.«
Er kippte den Brandy hinunter. »Warum? Da müssen Sie sich schon etwas Gutes einfallen lassen.«
»Wir werden sehen«, sagte ich. »Ob es nun glaubhaft klingt oder nicht, aber wir müssen davon ausgehen, daß die beiden Personen in ihren Gräbern keine Ruhe gefunden haben und als Skelette zurückgekehrt sind. Ob uns das nun paßt oder nicht.«
Ann und ihr Vater staunten und starrten mich mit offenen Mündern an. Es dauerte eine Weile, bis zumindest Ann etwas sagen konnte. »Aber das ist ja Horror.«
»Stimmt.«
»Wie im Film.«
»Stimmt auch.«
Sie hob die Schultern. »Meine Güte, wie soll ich das nur alles fassen?«
»Ich weiß es nicht. Ich möchte auch nicht, daß Sie sich gedanklich damit beschäftigen, Ann. Nehmen Sie es einfach als gegeben hin. Denken Sie bitte nicht darüber nach. Man kann es mit dem Verstand nicht begreifen, wenn man nicht geübt ist. Sehen Sie diese Wesen einfach als Neutrum an oder als Personen, die es zu bekämpfen gilt.«
Sie nickte. Ob ich sie überzeugt hatte, wußte ich nicht. Das war auch nicht nötig. Ich wollte nur, daß mich die beiden Frauen zum Friedhof begleiteten, denn das war wichtig. Es sollte an diesem Grab zu einer Familienzusammenführung kommen, abgesehen von Ann, die ja als Fremde dort stehen würde, aber trotzdem betroffen war.
Richard Cordy ballte die rechte Hand zur Faust. »Wäre es nicht besser, wenn wir aus Ripon für eine Weile verschwänden?«
»Was wäre damit gewonnen?«
»Zeit, Mr. Sinclair.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Nur wird es diese beiden Skelettkiller auch dann noch geben. Sie sind nicht vernichtet. Sie existieren weiter, und sie werden versuchen, ihre Aufgabe zu erfüllen.«
Er stöhnte auf und schüttelte den Kopf. »Himmel, Sie reden so, als wäre es völlig normal.«
»Das ist es sicherlich nicht, Mr. Cordy, aber wir alle müssen uns damit abfinden.«
»Das befürchte ich auch.« Er schaute mich an. »Komisch, daß ich Ihnen, einem Fremden, glaube.«
»Sie vertrauen einem Yard-Beamten.«
»Schön.« Richard holte Atem. Er knetete dabei seine Nase. Die nächste Frage drang leise über seine Lippen. »Und wann ist es soweit? Wann wollen Sie fahren?«
»So rasch wie möglich.«
»Also jetzt?«
»Ja.«
Er war wohl überrascht und wußte nicht, was er sagen sollte. Er schaute nur seine Tochter an, die so ängstlich und verschüchtert in ihrem Sessel saß, der für ihre Gestalt viel zu groß wirkte. »Du hast es gehört, Ann. Willst du? Bist du bereit?«
»Ich muß es wohl tun, Dad.« Richard Cordy kam damit nicht zurecht. »Meine Güte, Kind, ich bewundere deinen Mut.«
»So schlimm ist es nicht!«
»Doch, das hätte ich nicht geschafft. Zum Friedhof gehen, sich an ein Grab stellen und dort auf lebende Tote zu warten. Das hätte ich nicht geschafft. Das ist Wahnsinn!« Er schlug gegen seine Stirn und schüttelte den Kopf. »Völlig verrückt.«
Ann schwieg. Sie schaute hoch, als ich aufstand und Donata McBain das gleiche tat. »Bringen wir es hinter uns«, sagte ich.
Richard stand ebenfalls auf. Er kam auf mich zu.
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