0895 - Schattenkiller
der Erinnerung hervor. Sie war etwas jünger als Marco, eine gutaussehende junge und ernste Frau mit dunklen Haaren. Sie sah etwas melancholisch aus, vielleicht auch verträumt, und mit ihren Gedanken schien sie weit weg zu sein, eingetaucht in eine tiefe Ferne, die nur für sie sichtbar war.
Das Ziel war nicht mehr weit. Meine Nervosität wuchs, je mehr wir uns dem rätselhaften Bau näherten.
Meine Gedanken kreisten um den Schatten, der einmal von Marco Besitz ergriffen hatte. Ein zweites Mal hatte ich ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Möglicherweise wartete er auf uns und würde angreifen, wenn wir das Kloster betraten.
Darüber wußte ich einfach zuwenig. Auch Marco hatte mir kaum mit Informationen dienen können.
Alles hing in der Schwebe. Wir würden hineinfahren, wir würden versuchen, mit den Frauen oder Nonnen zu sprechen, und wir würden dann hoffentlich eine Spur der Lucille Anderre finden. So zumindest würde es optimal laufen.
Nur wollte ich daran nicht glauben. Es war zu simpel, und die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß gerade bei meinen Fällen immer wieder der Rückschlag nachkam, der Hammer, der alles zerstörte.
»Auf der rechten Seite ist es zu sehen«, erklärte Marco.
»Danke.« Ich drehte den Kopf. Jenseits der Straße wellte sich das Gelände. Flache Hügel reihten sich aneinander. Keine Wälder, kaum Bäume, nicht mal Sträucher, dafür viele Steine und ein Weg, der zu einem Bau führte, der sich in diese flache Landschaft hineinschmiegte.
Das war es also.
Ich nickte vor mich hin. Marco lachte leise neben mir. »Sieht aus wie ein Knast - oder?«
»Wieso?«
»Für mich schon. Ich habe nichts gegen Klöster, wie könnte ich? Aber schau es dir doch mal an.. Schon aus dieser Entfernung sieht es schlimm aus. So düster, abweisend…«
»Bist du da nicht etwas voreingenommen, Marco? Klöster sind in der Regel nicht eben freundlich.«
»Das hier ist anders.«
»Wir werden sehen.«
Inzwischen waren wir auf den Weg eingebogen, der uns direkt bis zum Ziel brachte. Er war schmal und führte wie eine Gerade auf den Bau zu. Marco war noch nicht fertig. Er mußte seine Antipathie freien Lauf lassen. »Da stimmt etwas nicht. Ich spüre schon jetzt diese düstere Atmosphäre. Der Bau ist einfach abweisend. Er bietet für mich keinen Schutz, Geborgenheit und Schutz sollte doch ein Kloster bieten - oder?«
»In der Regel schon.«
»Eben. Himmel, ich habe schon vor Klöstern gestanden und gestaunt. Da ist eine gewisse Ehrfurcht über mich gekommen. Ich habe tief durchgeatmet, ich war hingerissen, und dieses Gefühl steigerte sich noch, wenn ich das Kloster betrat. Aber dieses hier ist schlimm. Zudem sollen hier noch Nonnen leben…«
»Und es ist eingezäunt«, sagte ich.
»Auch das.«
In der Tat endete der Weg vor einem Gittertor. Es unterbrach einen sehr hohen Drahtzaun, an dem einige Warnschilder hingen und dem Fremden darüber aufklärten, daß Unbefugten der Zutritt zu dieser Anlage verboten war. Wer eingelassen werden wollte, mußte sich zuvor angemeldet haben.
Wir standen. Marco stellte den Motor aus, dann schlug er mit den flachen Händen auf den Lenkradring. »Ich habe es gewußt!« schimpfte er. »Ich habe es, verdammt noch mal! Dieses Kloster ist eine Hölle. Es ist ein Gefängnis. Sie wollen keinen Besuch von außerhalb, die Weiber, die sich Nonnen nennen.«
Ich widersprach ihm nicht. Aus Erfahrung wußte ich, daß es schlimme Klöster gab. Ich selbst hatte die Erfahrung in den Schweizer Bergen machen müssen, als wir das Kloster der Toten kennengelernt hatten und auch den dämonischen Engel Josephiel.
»Laß uns aussteigen.«
»Gut, und dann?« Er hielt mich fest. Ich spürte, daß er zitterte. »Sollen wir über den Zaun steigen?«
»Im Notfall schon.«
Marco warf einen Blick durch die Frontscheibe. »Und was ist, wenn er unter Strom steht?«
»Ich sehe keine Kontakte.«
Er ließ mich los, dann lachte er. »Allmählich muß ich deinen Optimismus bewundern.«
»Was bleibt uns sonst?« Nach diesen Worten öffnete ich die Beifahrertür. Losgeschnallt hatte ich mich schon, verließ den Clio und bekam die scharfe Windbö mit, die gegen mich fuhr.
Bis zum Tor waren es nur wenige Schritte. Ich konnte erkennen, daß sich die Bewohnerinnen nicht völlig von der Außenwelt zurückgezogen hatten, denn durch eine Gegensprechanlage waren sie mit denen verbunden, die Einlaß begehrten.
Auch Marco war ausgestiegen. Er hatte sich neben mich gestellt und seine Hände in den
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