0895 - Schattenkiller
überlassen!«
»Nein! Du hältst dich zurück!«
Ich hatte meine Worte kaum ausgesprochen, als wir Tritte hörten. Nicht schleichend, sondern normal. Sie waren hinter uns aufgeklungen. Helene lächelte, sie rechnete damit, Hilfe zu bekommen.
Ich fuhr herum. Die Beretta glitt mir dabei wie automatisch in die rechte Hand. Ich richtete die Mündung auf die Tür und traute meinen Augen nicht. Zwei Frauen standen dort. Sie sahen aus wie Zwillinge, was wohl an der Kleidung liegen mußte, denn sie trugen beide die Gewänder und die Schutenhauben auf den Köpfen. Ihre Blicke waren kalt, die Augen funkelten ebenso böse wie die der Helene. Uns beachteten sie nicht. Die Worte galten einzig und allein der Frau hinter dem Schreibtisch, nur hinterließen sie bei mir einen Schauer.
»Es ist geschehen!« erklärten sie…
***
Eis!
Dickes, kompaktes Eis steckte in ihr. Füllte die Arme, die Beine, den gesamten Körper aus, war eingedrungen bis in ihr Gehirn, wo sich die Kälte besonders stark verdichtet hatte, was Lucille Anderre nichts ausmachte, denn zugleich war auch die Kraft in sie eingedrungen. Eine neue, unerklärliche, spirituelle Kraft, eine Macht, die sie nie zuvor erlebt hatte, die völlig anders war und die dafür sorgte, daß Lucille ihr eigenes Schicksal vergaß.
Ihre Augen bewegten sich. Der Blick fiel auf ihre Handgelenke. Noch immer hatte sich ihre Haltung nicht verändert. Sie sah die Stricke, die sich in die Haut gruben, sie konzentrierte sich auf die Fesseln, aber sie lächelte dabei.
Und plötzlich bewegte sie die Hände!
Einmal, zweimal - zuckend. Die Stricke, die ihr ansonsten keinen Spielraum gelassen hatten, spannten sich. Sie zerrissen bei der dritten Bewegung mit einem singenden Laut, sprangen zu zwei verschiedenen Seiten hinweg, fielen zu Boden, und Lucille war frei!
Endlich!
Sie schüttelte sich. Die Haare fielen über ihr Gesicht wie ein dünner Vorhang. Mit Schwung wirbelte sie die Flut wieder zurück und trat einen Schritt zur Seite.
Es gelang ihr mit spielerischer Leichtigkeit. Die lange Fesselung und das steife Stehen hatten ihr nichts ausgemacht. Lucille fühlte sich, als wäre nichts geschehen.
Sie reckte sich, streckte die Arme in die Höhe, winkelte sie wieder an, bewegte auch die Hände, die sie hin und wieder zu Fäusten schloß, dann öffnete sie die Hände. Es war alles okay. Sie zitterte nicht im geringsten.
Sie fühlte sich gut!
Etwas steckte in ihr. Etwas Fremdes, über das sie nicht näher nachdenken wollte. Es hatte von ihrem Körper Besitz ergriffen, und sie merkte, daß es sich in die Augen eingenistet hatte, denn dort merkte sie das Brennen.
Es tat nicht weh, es war nur anders. Hätte sie einen Spiegel zur Hand gehabt, sie hätte gern hineingeschaut und sicherlich auch eine bestimmte Veränderung festgestellt.
Rote Augen.
Die Augen des Schattens!
Er steckte ihn ihr. Er hatte ihr das neue, gute Gefühl gegeben, und er würde genau wissen, was zu tun ist. Sie hielt den Mund leicht offen und lachte. Es war ihr Lachen, aber es klang fremd. Es war so kratzig und zugleich glockenhell. Wissend und mächtig. Ja, die Macht, die in ihr steckte. Eine völlig neue Erfahrung. Etwas, das sie nicht begreifen konnte. Es würde dauern, bis sich Lucille damit abgefunden hatte. Was sie in ihren Träumen und auch in einem gewissen Wachzustand als Horror erlebt hatte, machte ihr jetzt nichts aus.
Es ging ihr gut.
Im Keller schaute Lucille sich um. Die kreuz und quer stehenden Wände schienen ihr längst nicht mehr so bedrohlich. Sie warfen Schatten, weil das trübe Licht dafür sorgte. Auch das störte sie nicht. Lucille kam sich vor wie die Herrin dieser Welt, und als sie die ersten Schritte in einen Gang hineintrat, da war es anders als noch vor einer halben Stunde. Kraft steckte in ihrem Körper, durchfloß ihn wie ein Strom, aber diese Kraft mußte einfach einen Namen haben.
Wie hieß sie?
Lucille dachte nach. Etwas bewegte sich in ihrem Kopf. Es war dabei, ihr eine Botschaft zu senden.
Noch konnte sie nichts auseinanderhalten, aber es gab doch gewisse Worte, die sich zu Sätzen formierten. »Ich bin jetzt dein, und du bist mein…«
Lucille nahm es hin, ohne zu fragen, und auch die nächsten Worte überzeugten sie. »Man hat mich gerufen, aber ich wollte einen anderen Menschen besitzen. Man hat mich umgekehrt, umgedreht. Ich bin nicht mehr das, was ich einmal war, aber ich habe mich im Prinzip nicht geändert, das wirst du merken.«
Lucille hatte diese auf einer anderen
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