0895 - Schattenkiller
und ich habe auch meinen gefunden.«
»Das glaube ich nicht!«
Ich hatte die Worte hart ausgesprochen. Helene war zusammengezuckt. Für einen Moment sah sie aus, als wollte sie mich töten. »Was sagst du da?«
»Ich glaube dir nicht!« wiederholte ich.
»Warum nicht?«
»Weil Schutzengel keine über die Erde schleichende Schatten mit roten Augen sind.«
»Das sagst du!«
»Und noch mehr sage ich. Du hast einen großen Fehler begangen, Helene. Du hast dich in Dinge eingemischt, die zu hoch für dich sind. Ich gebe gern zu, daß deine Absichten lauter waren, als du den Kontakt mit den Engeln gesucht hast, aber du bist dabei in ein Gebiet eingedrungen oder in eine Welt, die nicht von Engeln bewohnt wird. Du hast jemanden beschworen, aber es ist nicht dein Schutzengel gewesen. Es war jemand anderer, wenn du verstehst.«
»Und wer soll es gewesen sein?«
»Ich kenne seinen Namen leider nicht, aber es war bestimmt nicht dein Schutzengel.«
Helene wurde nervös. »Woher willst du das wissen, verdammt noch mal? Woher nimmst du die Unverschämtheit, so etwas zu behaupten? Du kennst ihn nicht, auch der junge Mann kennt ihn nicht, verflucht noch mal. Es ist alles nicht wahr…«
»Schutzengel schützen. Sie erscheinen aber nicht in Alpträumen, wie es geschehen ist.«
»Das weißt du?«
»Ja!« schrie Marco Anderre plötzlich. »Das wissen wir. Das wissen wir sehr genau, und zwar durch meine Schwester. Sie hat ihn in ihren Alpträumen gesehen. Du hast sie in diesen verdammten Bau hier gelockt, aber ihr gelang die Flucht. Dann hast du ihr diesen Dämon nachgeschickt, der sie zurückholen sollte. Ich weiß es, verflucht! Ich, ich, ich!« Er deutete mit dem Finger auf seine Brust.
»Ich habe ihn erlebt. Ich weiß, wie es ist, wenn er in einen Menschen eindringt und die Kontrolle über ihn bekommt. Ich weiß es genau.«
»Es muß wunderbar sein«, erwiderte Helene und wirkte plötzlich verklärt.
»Wunderbar?« schrie Marco. »Es ist die Hölle gewesen. Ich war nicht mehr ich. Ich wurde zu einem anderen, verstehst du das nicht? Ich war nur noch äußerlich ein Mensch, denn in meinem Innern hockte ein Dämon, aber kein Schutzengel.«
»Dann bist du nicht würdig gewesen.«
»0 doch, das war ich bestimmt.« Er trat zwei Schritte auf die alte Frau zu. »Und jetzt habe ich genug von deiner verfluchten Rederei. Ich will endlich wissen, wo meine Schwester steckt. Deshalb sind wir hergekommen. Wir werden sie hier rausholen.«
Helene runzelte die Stirn. Sie machte einen nachdenklichen Eindruck, bevor sie sich räusperte und mit leiser Stimme sagte: »Ihr habt recht, ich kenne Lucille gut, denn ich habe ihr geraten, zu mir zu kommen. Hier in dieses neue Zuhause.«
»Das hat sie einfach getan?«
»Sicher.«
»Ich kann es mir nicht vorstellen.«
Helene lachte wissend. »Wie gut hast du denn deine Schwester gekannt, junger Mann?«
»Ziemlich gut.«
»Das reicht nicht. Das reicht überhaupt nicht, mein Freund. Ziemlich ist nicht perfekt. Eure Wege haben sich getrennt. Sie war eine Waise, ich habe sie getroffen, und sie hat sofort Vertrauen zu mir gefaßt. Sie hat mir ihr Leid geklagt, und ich hörte ihr zu, als sie von der ungeheuren Einsamkeit sprach, die sie überkommen hatte. Sie ist sehr einsam gewesen. Ich spürte es sofort, und ich machte Lucille einen Vorschlag. Ich berichtete ihr von der herrlichen Einsamkeit, in der wir leben. Aber es ist eine andere Einsamkeit gewesen. Keine Innere. Eine Einsamkeit, in der man zur Besinnung kommt, wieder zu sich selbst findet. Sie kann nur positiv sein und…«
Marco unterbrach Helene durch sein wütendes Lachen. »So positiv, daß sie aus diesen Mauern floh. Lucille wollte hier nicht mehr länger sein, verstehst du?«
»Sie ist noch jung. Fehler macht jeder.«
»Es war kein Fehler. Ich weiß, daß sie dem Grauen entkommen wollte. Doch man hat sie wieder zurückgeholt, und ich will, daß du sie uns zeigst. Jetzt sofort, auf der Stelle!«
Ich schwieg, nickte aber unterstützend. Helene überlegte auch nicht mehr lange. Sie warf einen Blick zur Tür und hob die Schultern.
»Was ist?« schrie Marco.
»Gehen wir!«
Auf diesen Kompromiß war er nicht eingestellt gewesen. Sein Gesicht zeigte Überraschung. Beinahe hätte er sich verschluckt, als er etwas sagen wollte.
Helene schaute ihn spöttisch an. »Was ist denn los? Hast du Angst vor der eigenen Courage bekommen?«
»Nein, das wohl nicht. Ich wundere mich nur.«
»Das Leben ist eben voller Wunder!« Helene drehte
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