0895 - Schattenkiller
sogar töten.
Ich reagierte sofort.
Mit einer Drehbewegung nach rechts wich ich ihm aus. Beinahe hätten wir uns noch gestreift, so aber rannte er an mir vorbei und prallte mit dem Bauch gegen die vordere Kante eines Waschbeckens. Er kippte mit dem Kopf nach vorn und prallte gegen den Spiegel, riß ihn herum. Mir fuhr sein schriller Schrei entgegen, als er versuchte, seine Finger in meine Augen zu stechen.
Ich wich aus und stieß ihn hart zurück.
Vom Waschbecken taumelte er auf das Fenster zu. Die Arme ausgebreitet, als suchte er irgendwo einen sicheren Halt.
Es hatte keinen Sinn. Ich mußte es auf eine andere Art und Weise versuchen und holte das Kreuz hervor. Schnell, sicher und glatt waren meine Bewegungen. Es funkelte im Licht der Lampe, als ich die Kette hielt. Dieser Reflex hatte auch Marco erreicht, der sich augenblicklich umdrehte und mir den Rücken zuwandte.
Ich sah etwas zwischen ihm und der Scheibe in die Höhe huschen. Ein Schatten, eine Bewegung, wie auch immer. Nur für einen Moment, dann war der Schatten weg.
»Marco!«
Er hörte meine Stimme, wurde herumgerissen und starrte mich an. Ich sah ihn und konnte nur den Kopf schütteln, denn seine Augen waren wieder normal geworden.
Dunkel, nicht mehr böse. Ein etwas flackernder Blick, aber das war alles normal.
Ich ließ das Kreuz wieder verschwinden, weil ich sicher war, es nicht mehr zu brauchen. Außerdem mußte Marco Anderre Zeit bekommen, sich wieder zu erholen.
Der Fünfundzwanzigjährige schüttelte den Kopf. Dann preßte er seine Handfläche gegen die Stirn, schloß die Augen, atmete pfeifend, räusperte sich und ließ die Hand wieder sinken, um sich umzuschauen.
Sein Blick sagte mir, daß er überhaupt nicht wußte, was mit ihm in den letzten Minuten und wahrscheinlich auch zuvor geschehen war. Er kam damit nicht zurecht. Er schaute sich verwirrt um, bewegte die Augen, dann den Kopf, stöhnte und kam mit etwas tappenden Schritten auf mich zu.
»John, was ist los gewesen?«
»Das möchte ich von dir wissen.«
»Von mir?« Er runzelte die Stirn. »Tja, ich weiß nicht. Ich komme damit nicht zurecht…«
»Kannst du dich nicht erinnern?«
»Nein, ja, vielleicht später.«
»Komm, wir gehen erst mal zurück in das Lokal. Du mußt einen Schluck trinken,«
»Meinst du?«
»Immer.«
Er ging neben mir her wie ein kleines Kind, das sich voll und ganz auf seinen Vater verläßt. Die blonde Kellnerin schaute uns aus großen Augen an. »Das ist er ja«, sagte sie, als sie von einem Tisch zurückkehrte, wo sie eine vierköpfige Familie mit Kaffee und Milch versorgt hatte.
»Ja, natürlich.«
»Ihr Freund sieht aber nicht gut aus.«
»Ihm war übel geworden.«
»Nicht von unserem Kaffee.«
»Das hat auch keiner gesagt. Wenn Sie uns ein Wasser bringen könnten?«
»Am besten zwei.«
»Mach ich.«
Wir nahmen wieder an dem Tisch Platz, wo wir schon zuvor gesessen hatten, und Marco Anderre wischte mit beiden Händen durch sein Gesicht, bevor er sich zurücklehnte, den Kopf drehte und hinein in die Weite der Landschaft schaute, als könnten sie und das Meer ihm Antworten auf seine Fragen geben.
Die Blonde brachte eine große Flasche Wasser und zwei Gläser. Sie wollte einschenken. »Bitte, das machen wir selbst.«
»Wie Sie wollen.« Mit schwingenden Hüften verließ sie den Tisch und konnte erkennen, daß ihr keiner von uns nachschaute. Gerade Marco war mit anderen Dingen beschäftigt, die durch seine Gedanken wühlten. Er suchte in der Erinnerung nach und drehte den Kopf erst, als er das Gluckern hörte, mit dem das Wasser aus der Flasche in die beiden Gläser rann.
Ich stellte die Flasche auf die Tischmitte. »Nun, Marco?«
Er hob die Schultern. »Jetzt sitzen wir hier, als wäre in der Zwischenzeit nichts passiert.«
»Aber das stimmt nicht. Es ist etwas geschehen.«
»Kann man wohl sagen.«
»Du müßtest es berichten. Ich bin nicht dabeigewesen und habe dich nur gesucht, weil du so unnatürlich lang fortgeblieben bist. Was also ist geschehen?«
Er trank zwei kräftige Schlucke und murmelte: »Wenn ich das nur wüßte, verflucht!«
»Dann erzähle mir, an was du dich erinnern kannst.«
Er strich über seine Stirn. »Ich bin also gegangen, um zu telefonieren und habe auch eine Verbindung mit dem Kloster bekommen. Die Schwester war nicht sehr freundlich. Als ich nach Lucille fragte, erklärte sie mir, daß keine von ihnen den Namen jemals wieder hören wollte. Für alle Nonnen ist Lucille gestorben, auch wenn sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher