0895 - Schattenkiller
unter einen Hut.«
Ich winkte ab. »Das wird sich alles herausstellen, wenn wir uns im Kloster umschauen.«
»Obwohl die Bewohnerinnen es nicht wollen?«
»Gerade deshalb.«
»Dann bin ich gespannt und ängstlich zugleich. Ich möchte auf keinen Fall, daß dieses Etwas wieder von mir Besitz ergreift. Das wäre furchtbar.«
»Wir werden sehen.« Marco Anderre sah mein Lächeln, doch er selbst lächelte nicht. Auf seinem Gesicht lag eine Gänsehaut…
***
Lucille Anderre war wieder erwacht!
Sie lag da mit halb geöffneten Augen und fragte sich, was mit ihr geschehen war, als sie bewußtlos zusammengesunken war. An nichts konnte sie sich erinnern, es war alles stockdunkel, obwohl ihre Umgebung nicht so finster war, wie sie erkannte, als sie die Augen ganz öffnete.
Kahle Wände wie starre Schatten. Eine ebenfalls kahle Decke und ihr gegenüber das kleine Rechteck, das den Namen Fenster kaum verdiente, sondern mehr eine Luke war.
Aber sie kannte das Zimmer, das mehr einer Zelle ähnelte. Sie wußte, wo man sie hingeschafft hatte, zurück in die ihr so verhaßte Klosterzelle, die sie einmal fluchtartig verlassen hatte.
Von einer erneuten Flucht würde sie nur mehr träumen können. Ein altes Gebot des Klosters hatte sich bewahrheitet. Niemand sollte entwischen, der sich einmal dazu entschlossen hatte, in diesen Mauern sein Leben zu verbringen.
Den Eid darauf hatte sie noch nicht abgelegt, aber die Gesetze waren auch für sie bindend gewesen.
Lucille Anderre seufzte. Ihr war zum Heulen, aber die schrecklichen Gedanken aus ihren Träumen peinigten sie nicht mehr, so daß sie normal denken konnte.
So dachte sie daran, was sie unternommen hatte, als sie noch nicht im Kloster gewesen war. Da hatte sie mit ihrem Bruder Marco telefoniert, und er hatte ihr versprochen, Hilfe zu schicken. Sie wußte, daß Marco einer Organisation angehörte, über die er nicht gern sprach, die aber nicht auf der Schattenseite des Lebens stand, sondern diese sogar bekämpfte.
Viel Ahnung hatte sie deshalb nicht, aber ein sehr großes Vertrauen, und nur das zählte.
Vertrauen war zwar gut, aber Hilfe war besser. Und es gab niemand, der ihr jetzt noch helfen konnte, denn Marco wußte bestimmt nicht, wo sie sich aufhielt. Hinter diesen Mauern war sie mehr tot als lebendig, eine lebende Leiche, eingeschlossen und kontrolliert von Personen, die das Licht der Öffentlichkeit scheuten.
Mehr wußte sie auch nicht. An die ganz großen Geheimnisse war sie nicht herangekommen, und sie würde sie auch nicht herausfinden, denn sie mußte damit rechnen, daß die Nonnen - falls es überhaupt welche waren - keine Gnade kannten.
Sie würden sie psychisch und vielleicht auch physisch foltern und sie hatten einen mächtigen Helfer, den Schatten mit den glühenden Augen.
Ein kalter Hauch strich über ihre Glieder, als sie daran dachte. Zum erstenmal seit ihrem Erwachen konzentrierte sich Lucille wieder auf die Umgebung.
Sie spürte die Kälte, die aus den Mauern strömte. Eine Heizung gab es in dieser Kammer nicht.
Wenn es zu kalt wurde, schob man kleine Elektroöfen in die Zellen, doch sicherlich nicht bei ihr, bei einer Verräterin!
Lucille konzentrierte sich auf die Außengeräusche. Durch das geschlossene Fenster drang kein Laut.
Was sie hörte, stammte aus dem Innern des alten Klosters.
Waren es Tritte, war es ein Flüstern kalter, böser Frauenstimmen, oder bildete sie sich alles nur ein?
Sie wußte es nicht, aber sie richtete sich auf. Wie zuvor im Schloß blieb sie wieder auf der Bettkante sitzen und starrte vor sich hin. Ihr war nicht eben übel, aber das Hungergefühl ließ sich nicht wegdiskutieren. Sie hätte gern etwas gegessen, die Sucht nach einer trockenen Schnitte Brot war schlimm, aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als eine der Nonnen darum bitten.
Das Fenster hatte Lucille sehr bald erreicht. Sie schaute hinaus. Es war zu schmal und auch zu niedrig, um hindurchklettern zu können, kein Fluchtweg also.
Es blieb die Tür.
Ein verlorenes Lächeln lag auf Lucilles Lippen, als sie sich ihr näherte. Die Tür war grau und hatte einen Türspion, mit dessen Hilfe man die Zelle überblicken konnte.
Es hatte keinen Sinn, die Türklinke zu drücken, die Tür war verschlossen, wie Lucille rasch merkte.
Vorbei die Chance. Lucille war und blieb gefangen.
Als sie vom Gang her Tritte hörte, wußte sie plötzlich, daß diese Laute ihr galten. Jemand würde zu ihr kommen und die Kammer betreten. Lucille blieb nicht an der
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