0897 - Zwei wie die Hölle
gibt keine Schere, du hast dich geirrt. Meine Hände sind leer.«
Gordy atmete schwer. Er feuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze an, was Shao wieder nach dem Glas greifen ließ. »Ich habe dir etwas zu trinken mitgebracht. Bitte, Gordy, du mußt es trinken.« Sie setzte das Glas an seinen Mund.
Kaum hatte Gordy die Berührung gespürt, da öffnete er schon den Mund und schluckte.
Ich sah es als gutes Zeichen an, daß er das Glas beinahe leerte. Danach ging es ihm auch wieder besser, denn in sein bleiches Gesicht kehrte etwas Farbe zurück.
»Bist du okay?« fragte Shao.
»Du hast die Schere nicht?«
»Nein.«
»Aber sie hat sie gehabt.«
»Wer ist sie?«
»Jennifer!«
Wir schwiegen beide, denn mit einer derartigen Antwort hatten wir nicht gerechnet.
»Jennif er Stark?«
»Sie war hier.«
Shao schaute sich um. »Tut mir leid, Junge, aber wir haben keine Jennifer gesehen. Wir sind hier allein.«
»Ja…«
»Bestimmt.«
Gordy wurde unruhig. Er zog die Beine an, streckte sie aus, und mit seinen Armen geschah das gleiche. »Jennifer war aber hier. Ich habe sie gesehen, ihn ebenfalls.«
»Du meinst Jonathan?«
»Genau«, hauchte er.
»Hatte er auch eine Schere?«
»Nein, sie. Sie hat sich in den Finger geschnitten. Ich sah das Blut.« Seine Stimme verwandelte sich.
Sie wurde lauter und hektischer und damit zum Spiegelbild seiner Erinnerung. »Dann nahm sie die Schere und stieß damit zu. Sie hat sie in die Hand gestoßen.«
»In ihre?«
»Nein. In die von Jonathan. Das Blut, das viele Blut. Ich habe es gesehen, das bleiche Gesicht nicht nur von ihr, auch von ihm. Beide haben mich besucht.«
»Hast du sie denn genau gesehen?«
»Ja.«
Shao schüttele behutsam den Kopf. Und ebenso behutsam sprach sie auch. »Es war aber niemand hier, Gordy. Wir haben genau nachgeschaut. Es war niemand hier. Wir haben uns die Tür angesehen, sie ist verschlossen gewesen. Wer soll denn da die Wohnung betreten haben?«
»Ich konnte sie trotzdem sehen.«
»Wo denn?«
»Im Bad - beide…«
»Sie haben dort gestanden?«
Gordy wollte eine schnelle Antwort geben, überlegte es sich aber anders. »Nein, nein, sie haben nicht gestanden, aber sie sind wirklich dort gewesen.«
»Kannst du uns das nicht erklären?«
Er überlegte. Jetzt bewegte er auch den Kopf. Zuerst nach links, dann nach rechts, wo ich noch immer im Halbdunkel wartete. Er konnte mich sehen und lächelte. »Wenn du nicht willst, Gordy, oder es dir zu schwer fällt, brauchst du es nicht.«
»Doch«, flüsterte er. »Doch, das will ich ja alles. Ich weiß es genau. Die Gesichter…«, er legte eine kurze Pause ein, »es waren ihre Gesichter.«
»Nur sie?« fragte ich.
»Zuerst ja. Dann aber sah ich ihre Hände und auch die Schere. Ich sah das Blut!«
»Sie haben sich also verletzt? Dabei bleibst du?«
»Richtig.«
»Und du hast wirklich Blut gesehen?«
»Auch auf dem Boden. Es muß getropft sein.«
»Das muß es, stimmt, da hast du recht. Nur hat es uns gewundert, daß wir im Bad keine Spuren entdeckt haben. Kein Tropfen Blut lag auf dem Boden vor der Dusche, auch woanders nicht. Darüber müssen wir auch nachdenken.«
Der Junge schwieg. Er zog seinen Körper zusammen, als wäre ein Schauer über ihn gerieselt. »Aber ich habe es doch gesehen«, hauchte er. »Ich habe es genau gesehen, ganz genau. Das ist so, wirklich. Ich habe es mir nicht eingebildet.«
»Wir glauben es dir.«
Gordy sagte noch mehr. »Es war das Auge. Es kam plötzlich. Das habe ich gemerkt. Es kam hervor, und erst dann sah ich Jennifer und Jonathan. Erst danach. Und jetzt weiß ich auch, daß mich die beiden gefunden haben. Sie wissen, wo ich bin.« Seine Stimme klang plötzlich schrill. »Sie wissen es ganz genau!« Seine Gefühle durchdrangen ihn wie ein gewaltiger Sturm. Er wollte sich aufrichten, was er aber nicht schaffte, denn Shao drückte ihn zurück. »Bitte, Gordy, bitte. Du mußt jetzt ganz ruhig liegenbleiben. Du mußt und darfst dich nicht aufregen. Wir sind hier, wir werden für dich sorgen.«
Shao war gut, sehr gut sogar. Ihre weiche Stimme sorgte dafür, daß Gordy seinen Schrecken und die Furcht verlor. Er sank zurück und blieb auch liegen.
»Alles wieder…«
»Shao!«
»Ja?«
»Ich habe dich nicht angelogen. Ich habe euch nicht angelogen, das mußt du mir glauben.«
»Wir wissen es.«
»Aber ich muß dir noch etwas sagen, Shao.«
»Bitte!«
»Sie sind hier, Shao. Sie sind hier. Ja sie sind ganz in der Nähe, Shao, hier…«
Er schrie
Weitere Kostenlose Bücher