0898 - Praxis des Teufels
armen Seelen orten, egal, wo sie sich auf der Welt befinden mochten. Er hatte mit dem Kennzeichnen dieser Menschen schon vor über einem Jahr begonnen, damals hatte er es eigentlich eher aus Spaß an der Folter getan. Wer von den Menschen mit seinem schwarzen Blut infiziert wurde, bekam leichte, magische Fähigkeiten - und in der technikgläubigen Welt von heute quälte das die Menschen eher, als dass es sie erfreute. Die Qual übertrug sich zu seinem Ergötzen auf seine Sinne und versetzte ihn ständig in einen Zustand der leichten Erregung.
Doch jetzt hatte sich diese weise Voraussicht, für die er sich selbst nur loben konnte, auch auf eine andere Weise als durchaus sinnvoll erwiesen. Er hatte sich schon oft neue Lebenskraft von den derart vorbereiteten Patienten geholt - gestern erst wieder direkt bei einer frisch operierten Patientin. Sie war noch nicht sehr alt gewesen, sehr vital und voller Energie, die sie auch weiterhin für ihr eigenes, völlig unbedeutendes Leben hatte verschwenden wollen.
Doch jetzt war diese Energie einem unendlich viel besseren Zweck zugeführt worden - ihm selbst, Lucifuge Rofocale.
Was konnte es Besseres geben.
Und eigentlich hatte diese Energie nicht nur lange vorhalten, sondern seine ganze, volle Kraft wiederherstellen sollen. Doch schon heute war sie wieder verbraucht. War die Idee doch nicht so hervorragend gewesen? Die Lebenskraft der Menschen nicht ausreichend? Zugegeben, sie war gering, aber andererseits hatte Lucifuge Rofocale bisher auch nicht angenommen, dass der Verlust seiner Kraft so groß war.
Er stand auf und begab sich wieder auf den Weg. Er würde sich noch ein oder zwei dieser Menschen holen, das konnte nicht schaden. Dann würde er wieder in aller Seelenruhe Pläne schmieden können, wie dieser lästige Fu Long und diese ziegenbärtige Hure Stygia auszuschalten waren.
***
Nicole und Zamorra hatten die Fahrt von der Südspitze Kowloons nach Happy Valley auf Hongkong Island genossen. Die Stadt sprühte vor Leben, auch nach der Übernahme durch Festland-China war das deutlich zu spüren. Am liebsten hätte Nicole eine der altmodischen, grünweißen Fähren genommen, die über die Bay schwammen, und wäre dann in eine der doppelstöckigen Trambahnen umgestiegen, die auf allen möglichen Linien die Stadtteile Western und Central durchquerten, aber Zamorra hatte recht: es würde schon seltsam anmuten, wenn zwei angeblich zahlungskräftige Kunden zu Fuß vor der Klinik auftauchten, statt standesgemäß in einem prächtigen Rolls Royce vor der Tür zu erscheinen.
Nicole hatt also mit einem leichten Schmollmund nachgegeben, sich in ein hübsches und sichtbar teures Sommerkleidchen geworfen und ließ sich jetzt - ganz stilecht - von Zamorra aus dem Wagen helfen. Kaum hatte er wieder eine Hand frei, landete sein Zeigefinger unwillkürlich hinter seinem Hemdkragen, den eine Krawatte eng umschloss. »Das verzeihe ich dir nie, dass du mich in so ein Ding gesteckt hast!«, knurrte er. Dennoch ließ er zu, dass Nicole seine Hand vorsichtig von dem Kragen wegzog und den Knoten neu richtete. Ja, so war es schon besser.
Kaum hatte Nicole das getan, hastete auch schon eine junge Frau so dicht an ihnen vorbei, dass sie Zamorra beinahe angerempelt hätte. Sie war in eine weiße Schwesterntracht gekleidet und trug eine in Europa unüblich gewordene weiße Haube. Nach einer hastig gemurmelten Entschuldigung eilte die junge Frau weiter die Straße hinunter, wo sich, wie Nicole bei der Anfahrt gesehen hatte, eine Bushaltestelle befand.
»Na hoppla, die hat's aber eilig«, meinte Nieole amüsiert. »Es ist doch erst kurz nach acht, ob die da schon ein Rendezvous hat?«
Zamorra sah der jungen Schwester nachdenklich hinterher. »Keine Ahnung. Mal sehen, vielleicht hatte die Kleine ja einen Grund, sich so zu beeilen.«
Kurz entschlossen betrat er die Lobby der Klinik, die eher aussah wie die Lobby eines teuren Hotels. Leise und anerkennend pfiff Nicole durch die Zähne. »Na, das ist doch mal schick«, meinte sie halblaut, während sie sich bewundernd in der von spiegelglattem Marmor und glänzender Bronze nur so strotzenden Halle umsah.
Zamorra war unterdessen schon an die Anmeldung getreten. »Nei hou«, grüßte er freundlich auf Kantonesisch - das hatte er auf dem Weg hierhin noch schnell aus dem Wörterbuch gelernt. Mandarin beherrschte er dank seiner Zeit in Choquai einigermaßen, aber Kantonesisch war etwas ganz anderes. Die junge Dame hinter der Rezeption schien sichtlich
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