0898 - Todesruf der Alten Göttin
auf etwas, das wir nicht beeinflussen konnten. Ich war mittlerweile soweit, daß ich mir die Astralleiber herbeiwünschte. Ich wollte sie spüren, vielleicht auch sehen, einen Kontakt haben, um später aus dem Erfahrenen hervor reagieren und siegen zu können.
Mein Kreuz holte ich von der Brust weg und steckte es in die Tasche. Zuvor hatte ich einen Blick darauf geworfen, ohne allerdings eine Veränderung entdeckt zu haben. Es warnte und handelte nicht. Es blieb normal auf meiner Hand liegen.
Schade…
Sarah kehrte noch nicht zurück. Wir spürten nur den kühlen Luftzug, der durch den Flur strich und durch die offene Tür des Wohnzimmers fuhr. Lady Sarah hatte nur kurz nach draußen geschaut. Sie kehrte zu uns zurück und hob die Schultern.
»Wir müssen warten!« sagte Jane. »Da nutzt alles nichts. Es geht weiter, davon bin ich überzeugt, aber wie und ob es weitergeht, liegt nicht in unseren Händen.«
Als hätte Jane ein Stichwort gegeben, so bewegte sich der Junge auf der Couch. Er hatte halb gelegen, halb gesessen und wechselte die Seitenlage. Mit einer Hand stützte er sich ab und blieb schließlich normal sitzen, den Rücken gegen die Lehne gedrückt. Etwas verworren schaute er sich um, als wüßte er nicht mehr, wo wir ihn hingebracht hatten.
»Geht es dir gut, Gordy?« fragte ich ihn.
Er schaute hoch, weil ich direkt vor ihm stand. Den Tisch hatte ich etwas zur Seite gedrückt, damit er mich nicht störte. So konnten wir uns anschauen, und ich zuckte zusammen, als ich in die Augen des Jungen sah. Sie waren starr geworden. In ihnen steckte kein Leben mehr. Mir kam der Vergleich mit Totenaugen in den Sinn.
Ich mußte schlucken und wußte zugleich, daß Gordy etwas erlebt hatte. Ob im Schlaf oder beim Wachwerden, war mir unbekannt, aber er war nicht mehr der Junge, wie ich ihn kannte.
Ich sprach ihn an. Leise sagte ich seinen Namen, denn ich wollte ihn auf keinen Fall erschrecken.
Gordy runzelte die Stirn. Es sah so aus, als wollte er mir antworten, doch es blieb bei einem mehr als lässigen Versuch. Der Mund blieb geschlossen, und der tote Ausdruck wich nicht aus seinen Augen.
Ich winkte Jane und Sarah herbei. Zu reden brauchte ich nicht. Mit dem Zeigefinger deutete ich auf das Gesicht.
»Himmel, die Augen!« flüsterte Sarah. »Was ist mit ihnen passiert? Die sind so schrecklich leer, so…«
»Jemand hat ihn in der Gewalt!« flüsterte Jane. »Eine andere Macht, eine andere Kraft. John, wir werden sicherlich gleich sein drittes Auge sehen. Ich habe es im Gefühl, es kann nicht anders ablaufen.«
Jane behielt recht, denn auf der Stirn des Jungen geschah tatsächlich etwas. Wir sahen das dritte Auge noch nicht sofort, denn zuerst bewegte sich nur die Haut, als würde jemand darüber hinwegstreichen und sie in kleinen Falten zusammenlegen. Allerdings nur an einer bestimmten Stelle, und zwar in der Mitte der Stirn, genau an dem Punkt, wo sich das dritte Auge vorschieben würde.
So nett der blonde Gordy auch normalerweise aussah, in diesem Fall glich sein Gesicht mehr der Maske eines Toten, und das lag einzig und allein am leeren Blick seiner Leichenaugen, aus denen wirklich alles Leben entwichen war.
Jetzt zählte einzig und allein das Psychonauten-Auge und damit seine zweite Existenz.
Die Stelle zuckte, sie wallte auf und nieder, sie zog sich zusammen und sondierte Feuchtigkeit ab, und ich verglich den Vorgang mit einer schwierigen Geburt.
Dann erschien das Auge. Sicherlich nicht aus der Tiefe des Kopfes, auch wenn es den Anschein hatte. Es war mehr eine Verbindung zwischen Geist und Kopf, ein Mal, ein Erkennungszeichen. Das dritte Auge eines Kindes, wobei dieses Kind es noch nicht geschafft hatte, die Kräfte zu beherrschen und entsprechend einzusetzen.
Das dritte Auge zeigte eine ovale Form und mehrere Farben. Die Pupillen leuchteten türkisfarben.
Nicht nur ich hatte diesem Vorgang gespannt zugeschaut. Jane und Sarah war es nicht anders ergangen. Sie waren fasziniert von dieser Veränderung, bekamen allerdings auch mit, wie der Junge litt.
Immer wieder stieß er heftig den Atem aus, er quälte sich, er stöhnte leicht. Beide Hände hielt er hart gegen den Sitz gestemmt.
Es gab für ihn nur das dritte Auge, die beiden anderen zeigten noch immer diese Leere, aber der Mund des Jungen bewegte sich. Bisher hatte er nur den Mund geöffnet, um scharf Luft zu holen.
Nun fing er an zu sprechen, und es waren leise, keuchende Worte, als stünde er unter einem wahnsinnigen Druck.
Wir mußten
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