09 - Befehl von oben
Namen erfahren?« »Wozu?« wollte Sheila Walker wissen.
»Nun, Ma'am, ist doch nett zu wissen, mit wem man spricht.« Das war
verständlich. Und außerdem wäre es nett, über solche Leute weitere Erkundigungen einzuholen.
»Das ist Mrs. Walker«, sagte Mrs. Marlene Daggett, Leiterin der
Kindertagesstätte Giant Steps.
»Ach, dann ist das da Ihr kleiner Junge, Justin, richtig?« lächelte Russel.
Der Vierjährige baute gerade einen Turm mit Bauklötzen, den er dann,
wenn er fertig war, zur Erbauung aller im Raum umstoßen würde. »Ich mag einfach keine Waffen und schon gar nicht in der Nähe von
Kindern.«
»Mrs. Walker, erstens sind wir Polizisten. Wir wissen, wie man sicher
mit Waffen umgeht. Zweitens verlangt unsere Dienstvorschrift, daß wir
ständig Waffen tragen. Und drittens wünschte ich, daß Sie es so sehen: Ihr
Sohn ist hier bei uns so sicher, wie er nur sein kann. Sie brauchen sich nie
Gedanken zu machen, daß Ihr Kind, zum Beispiel, vom Spielplatz weg
entführt würde.«
»Warum muß sie denn ausgerechnet hier sein?«
Russel lächelte verständig. »Mrs. Walker, Katie da drüben ist doch nicht
Präsident geworden, sondern ihr Vater. Hat sie denn darum keinen
Anspruch auf ein ganz normales Leben als Kind, genau wie Ihr Justin?« »Aber es ist doch gefährlich und ...«
»Aber doch nicht, solange wir hier sind«, versicherte er ihr. Sie wandte
sich einfach ab.
»Justin!« Ihr Sohn drehte sich um und sah seine Mutter mit seiner Jacke
in der Hand. Er zögerte noch eine Sekunde, dann stieß er mit einem Finger
an die Bauklötze und wartete, daß der vier Fuß hohe Turm langsam
umstürzte wie ein gefällter Baum.
»Angehender Ingenieur«, bekam Russel über den Ohrhörer mit. »Ich
lass' noch ihr Autokennzeichen überprüfen.« Er nickte der Agentin in der
Tür zu. In zwanzig Minuten würden sie ein neues Dossier durchsehen
können. Es mochte wohl aussagen, daß Mrs. Walker so eine nervige NewAge-Type war, wenn sie aber eine Vergangenheit haben sollte mit
seelischen Problemen (möglich) oder gar vorbestraft sein
(unwahrscheinlich), müßte man sie im Auge behalten. Automatisch schaute
er sich im Zimmer um, dann schüttelte er den Kopf. SANDBOX war ein
normales Kind, umgeben von normalen Kindern. Im Augenblick bemalte
sie ein weißes Blatt Papier, das Gesicht dabei höchst konzentriert
verkniffen. Sie hatte einen ganz normalen Tag durchlebt, ein normales
Mittagessen, normalen Mittagsschlaf, und bald würde sie eine abnormale Heimreise in ein höchst abnormales Zuhause antreten. Vom kleinen Diskurs, den er gerade mit Justins Mutter hielt, hatte sie nichts mitbekommen. Kinder waren eben klug genug, einfach nur Kinder zu sein,
und das war mehr, als man von vielen der Eltern sagen könnte. Mrs. Walker ging mit ihrem Sohn zum Familienwagen, einem Volvo,
was niemanden überraschte, wo sie ihn in den Kindersitz setzte und
pflichtbewußt festschnallte. Die Agentin prägte sich das Kennzeichen zur
Überprüfung ein; ihr war aber klar, daß es nichts von Bedeutung ergeben
würde und daß die Überprüfung dennoch gemacht würde, denn es konnte
immer die Möglichkeit bestehen, daß ...
Im Augenblick kam es ihr wieder in den Sinn, der Grund für diese
Vorsicht. Sie befanden sich hier beim Giant Steps, derselben
Kindertagesstätte, in die die Ryans schon SHADOW gebracht hatten, als sie
noch Kleinkind war, direkt am Ritchie Highway, Richtung Annapolis. Die
Gangster hatten sich direkt gegenüber den 7-Eleven-Supermarkt ausgesucht,
um die Einrichtung abzuchecken, dann waren sie SURGEON in ihrem alten
Porsche gefolgt, mit einem Lieferwagen, und auf der Route-5o-Brücke
hatten sie einen hübschen kleinen Hinterhalt durchgezogen und später bei
ihrer Flucht noch einen Polizisten umgebracht.
Dr. Ryan war damals mit SHORTSTOP schwanger, und SANDBOX
stand noch nicht mal in den Sternen. All das wirkte jetzt irgendwie seltsam
auf Special Agent Marcella Hilton. Sie war wieder ledig - zum zweitenmal
geschieden, ohne eigene Kinder -, und es wurde ihr, auch als knallhartem
Profi, ganz schwummrig ums Herz, wenn sie Kinder um sich hatte. Sie
meinte, es hätte mit ihren Hormonen zu tun oder läge an den Schaltkreisen
im weiblichen Gehirn oder einfach daran, daß sie Kinder eben mochte und
sich wünschte, selber eins zu haben. Was es auch sein mochte, der Gedanke,
daß jemand kleinen Kindern absichtlich etwas zuleide tun könnte, ließ ihr
für einen kurzen Moment das Blut in den Adern stocken.
Der Ort war zu ungeschützt. Und es gab
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