09 - Befehl von oben
einundsechzig Staatsoberhäupter in der Stadt; Sicherheit würde an diesem Tag für alle die Hölle sein, und die Medien sorgten dafür, daß jeder an der Erfahrung teilhaben konnte.
Beim letztenmal hatte Jacqueline Kennedy auf Morgenanzug entschieden, doch inzwischen waren fünfunddreißig Jahre vergangen, und heute würde dunkle Geschäftskleidung genügen, außer für diejenigen, die Uniformen verschiedenster Art trugen, oder für Gäste aus tropischen Ländern. Einige würden in ihrer Nationaltracht kommen und im Namen ihrer nationalen Würde die Konsequenzen erleiden. Sie alle durch die Stadt und zum White House zu bringen war ein Alptraum.
Dann kam die Frage der Reihenfolge in der Prozession. Alphabetisch nach Ländern? Oder nach Namen? Nach Dienstalter? Das wäre zuviel der Ehre für einige Diktatoren, die auf oberer diplomatischer Ebene eine gewisse Legitimität erlangt hatten - und würden den Status von Ländern und Regierungen stärken, mit denen Amerika zwar freundliche Beziehungen hegte, für die es aber wenig Liebe empfand. Sie kamen alle zum White House, schritten an den Särgen vorüber, hielten inne, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen, und gingen weiter zum East Room, wo sich Mitarbeiter des State Department abmühten, bei Kaffee und Gebäck alles im Griff zu behalten.
Ryan war mit seiner Familie oben. Sie legten letzte Hand an die dunklen Kleider, unterstützt von Mitgliedern des White-House-Stabs.
Die Kinder kamen am besten zurecht. Sie waren es gewohnt, daß ihnen Mom und Dad auf dem Weg aus der Tür das Haar kämmten, und jetzt amüsierte es sie, zu sehen, wie man mit Mom und Dad genauso verfuhr.
Jack hielt ein Exemplar der ersten Rede in der Hand. Die Zeit war vorbei, die Augen zu schließen und sich zu wünschen, das alles wäre nicht wahr.
Mary Abbot vollführte die letzten Handgriffe an seinem Haar und bannte dann alles mit Spray an seinen Platz, etwas, das Ryan in seinem ganzen Leben nie freiwillig getan hätte.
»Sie warten schon, Mr. President«, sagte Arnie.
»Ja.« Jack drückte einem Secret-Service-Agenten seine Rede in die Hand und verließ das Zimmer, gefolgt von Cathy, die Katie hielt. Sally nahm Klein Jack bei der Hand und folgte ihnen in den Korridor und die Treppe hinunter. Präsident Ryan ging langsam die Treppe hinab und links in den East Room. Als er den Raum betrat, wandten sich alle Köpfe ihm zu. Aller Augen sahen ihn an, und keiner dieser Blicke drückte Gleichgültigkeit aus, manche waren sogar mitfühlend. Nahezu jedes Augenpaar war das eines Staats- beziehungsweise Regierungschefs und wenn nicht, dann das eines Botschafters, von denen ein jeder noch am selben Abend einen Bericht über den amerikanischen Präsidenten abgeben würde. Es war Ryans Glück, daß der erste, der ihm entgegentrat, einer war, der nichts dergleichen tun mußte.
»Mr. President«, sagte der Mann in der Royal-Navy-Uniform. Im ganzen gesehen, war London mit der neuen Vereinbarung recht zufrieden. Das »spezielle Verhältnis« würde noch spezieller werden, da Präsident Ryan (Ehren-)Komtur des Victoriaordens war.
»Eure Hoheit.« Jack hielt inne und gestattete sich ein Lächeln, während er die dargebotene Hand schüttelte. »Lange her seit damals in London, Freund.«
»In der Tat.«
Die Sonne war nicht so warm wie erwartet, und die scharfen Schatten ließen alles noch kälter erscheinen. Die D.C.-Polizei fuhr mit einer Motorradstaffel voraus, dann kamen drei Trommler, gefolgt von marschierenden Soldaten - ein Trupp des 3. Zugs, Bravo Kompanie, Erstes Bataillon, 501. Infanterieregiment, 82. Luftlandedivision, dem Roger Durling selbst angehört hatte -, dann das reiterlose Pferd, mit Stiefeln verkehrt in den Steigbügeln, und die Lafetten, nebeneinander in diesem Fall, für Ehemann und Frau. Dann die Reihen der Wagen. Während die Prozession nach Nordwesten zog, präsentierten Soldaten, Matrosen, Marines die Gewehre, zuerst für den alten Präsidenten, dann für den neuen. Für ersteren nahmen Männer die Kopfbedeckung herunter (manche vergaßen es auch).
Brown und Holbrook vergaßen es nicht. Durling war vielleicht so 'ne Bürokratie gewesen, aber die Flagge war die Flagge und konnte nichts dafür, daß sie da drapiert war. Die Soldaten hoben sich in ihren Kampfanzügen mit roten Baretts und Springerstiefeln deutlich ab, denn, wie der Radiokommentator sagte, Roger Durling war einer der ihren gewesen. Vor den Lafetten marschierten zwei weitere Soldaten, einer trug die Präsidentenflagge, der
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