09 - Denn sie betrügt man nicht
worden.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Barbara drehte sich um. An der Tür des ersten Büros stand eine junge Frau mit Pferdegebiß. »Suchen Sie jemanden? Das hier sind die Direktionsbüros.«
Barbara sah, daß sie sich die Zunge hatte piercen lassen. Das Loch zierte jetzt ein heftig glitzernder Stecker. Ein kalter Schauder - recht angenehm bei dieser Hitze - überlief Barbara bei dem Anblick, und sie dankte ihrem Schöpfer, daß sie in einer Zeit aufgewachsen war, in der es noch nicht Mode gewesen war, sich diverse Körperteile durchbohren zu lassen.
Sie zeigte ihren Dienstausweis und leierte ihr Sprüchlein herunter. Die Antwort fiel aus, wie Barbara es erwartet hatte. Mit funkelnder Zunge erklärte das Mädchen, niemanden wie Sahlah Malik auf dem Pier gesehen zu haben. Eine Pakistani allein? meinte sie. Du lieber Gott, sie habe noch nie eine Pakistani ohne Begleitung gesehen.
Jedenfalls nicht in der Tracht, die die Polizeibeamtin beschrieben hatte.
Dann vielleicht in anderer Aufmachung? erkundigte sich Barbara.
Die junge Frau kaute, klick-klick, auf ihrem Zungenschmuck, während sie überlegte. Barbara wurde ganz anders.
Nein, sagte sie schließlich. Was natürlich nicht heißen solle, daß nicht irgendeine Asiatin in normaler Kleidung auf dem Pier gewesen sei. Nur, wenn sie wie ein normaler Mensch gekleidet gewesen wäre, na ja ... Dann wäre sie nicht weiter aufgefallen, nicht wahr?
Tja, genau da lag natürlich der Hase im Pfeffer.
Barbara fragte, wer in dem Büro am Ende des Korridors sitze. Das sei Mr. Shaws Büro, wurde ihr gesagt. Von der Firma Shaw, fügte sie bedeutsam hinzu. Ob Barbara ihn zu sprechen wünsche?
Warum nicht? dachte Barbara. Wenn er dem, was sie bisher über Sahlah Maliks angeblichen Besuch auf dem Pier gehört hatte, nichts hinzufügen konnte, so würde er ihr als Betreiber des Piers doch wenigstens sagen können, wo sie Trevor Ruddock finden konnte.
»Gut, dann sag' ich rasch Bescheid«, sagte die junge Frau. Sie ging zu der letzten Tür, öffnete sie und rief durch den Spalt hinein: »Theo? Hier ist eine Polizeibeamtin. Sie möchte Sie gern sprechen.«
Barbara konnte keine Antwort hören, aber gleich darauf trat ein Mann durch die Tür. Er war jünger als Barbara - Mitte Zwanzig vielleicht - und trug modisch weit geschnittenes Leinen. Die Hände hatte er lässig in den Hosentaschen, doch seine Miene war besorgt.
»Es hat doch nicht schon wieder Ärger gegeben?« Er warf einen Blick aus dem Fenster zum Pier hinunter. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Sie wußte, daß er nicht von den Installationen sprach. Er meinte seine Kunden. Ein Geschäftsmann in seiner Position wußte natürlich, wie wichtig es war, daß sein Betrieb ohne Turbulenzen lief. Und wenn die Polizei kam, hieß das im allgemeinen, daß Ärger in der Luft lag.
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?« fragte sie.
»Danke, Dominique«, sagte Theo zur Brillantzunge.
Dominique? dachte Barbara. Sie hatte einen Namen wie Slam oder Punch erwartet.
Dominique zog sich in das Büro vorn an der Treppe zurück. Barbara folgte Theo Shaw in das seine. Sie sah sofort, daß die Fenster den Blick boten, den sie erwartet hatte: Auf der einen Seite sah man das Meer, auf der anderen den Pier. Hier war die letzte Möglichkeit, eine Bestätigung für Sahlah Maliks Geschichte zu finden.
Sie wandte sich ihm zu, um ihre Frage zu stellen. Die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Er hatte die Hände aus den Hosentaschen gezogen, während sie sich die Aussicht angesehen hatte. An einem Arm hatte er eine goldene Aloysius-Kennedy-Armspange.
10
Nach ihrer heimlichen Flucht aus dem Laden hatte Rachel zunächst nur ein Ziel im Sinn gehabt. Sie wußte, daß sie etwas unternehmen mußte, um die unangenehme Lage zu mildern, in die sie Sahlah und auch sich selbst durch ihr Handeln gebracht hatte. Das Problem war nur, daß sie nicht genau wußte, was. Nur eins war ihr klar - daß sie sofort handeln mußte. Sie hatte sich also auf ihr Fahrrad geschwungen und war im Eiltempo in Richtung Senffabrik geradelt. Aber als ihr aufging, daß logischerweise auch diese Polizeibeamtin dort ihren nächsten Besuch machen würde, hatte sie aufgehört zu strampeln und das Fahrrad einfach laufen lassen, bis es am Kai zum Stillstand gekommen war.
Ihr Gesicht war tropfnaß. Sie pustete einen Luftstrom aufwärts, um ihre glühende Stirn zu kühlen. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet, und sie wünschte, sie hätte daran gedacht, eine Flasche Wasser
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