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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sie. »Oder reicht es dir?«
    Yumn lächelte träge. »Ob es mir reicht?« fragte sie. »O nein, bahin. Es reicht mir noch lange nicht.«
    Vom Fenster der Bibliothek aus beobachtete Agatha Shaw ihren Enkel, der draußen aus seinem BMW stieg. Sie sah auf die Uhr. Er hatte sich eine halbe Stunde verspätet. Unmöglich. Geschäftsleute hatten pünktlich zu sein, und wenn Theo in Balford-le-Nez als Nachkomme von Agatha und Lewis Shaw - folglich als jemand, mit dem man rechnen mußte - ernst genommen werden wollte, würde er endlich begreifen müssen, wie wichtig es war, eine Armbanduhr zu tragen statt dieses lächerlichen handschellenartigen Dings, das er so schick fand. Scheußlicher Talmi. In ihrer Jugend wäre ein sechsundzwanzigjähriger Mann, der ein Armband trug, vor Gericht gelandet, wo er das Wort Sodomit öfter zu hören bekommen hätte, als ihm lieb sein konnte.
    Agatha trat etwas zur Seite, so daß der Vorhang sie vor Blicken von außen verbarg. Sie musterte Theo, als er auf das Haus zuging. Es gab Tage, an dem alles an dem jungen Mann in ihr wütende Ablehnung hervorrief, und dies war so ein Tag. Er war seiner Mutter zu ähnlich. Das gleiche blonde Haar, die gleiche helle Haut, die in der Sonne Sommersprossen bekam, die gleiche athletische Figur. Nun, sie war Gott sei Dank tot und würde die Strafe bekommen haben, die der Herr für skandinavische Huren vorgesehen hatte, die sich und ihren Mann mit dem Auto zu Tode fahren. Theos Anwesenheit in ihrem Leben erinnerte sie daran, daß sie ihr jüngstes und liebstes Kind zweimal verloren hatte: das erste Mal durch eine Ehe, die zu seiner Enterbung geführt hatte, und das zweite Mal durch einen Autounfall, nach dem seine zwei ungebärdigen kleinen Söhne, noch keine zehn Jahre alt, in ihrer - Agathas - Obhut zurückgeblieben waren.
    Während Theo sich dem Haus näherte, ging sie noch einmal alle Aspekte durch, die ihr an ihm mißfielen. Er kleidete sich auf eine Weise, die seiner Position ins Gesicht schlug. Er bevorzugte lose geschnittenes Leinen: Jacketts mit Schulterpolstern, Hemden ohne Kragen, Hosen mit Falten. Und alles immer in Pastellfarben oder Beige oder Rehbraun. Er trug lieber Sandalen als ordentliches Schuhwerk. Ob er Socken anzog war stets reine Glückssache. Und als reichte das alles noch nicht, um potentielle Investoren abzuschrecken, trug er seit dem Tod seiner Mutter dieses gräßliche Goldkettchen mit dem Kreuz daran, das ihr gehört hatte, so einen makabren katholischen Talisman mit dem Gekreuzigten darauf. Genau der geeignete Blickfang für einen Geschäftsmann, den man überzeugen wollte, daß es sich lohnte, sein Geld in die Sanierung und Wiedergeburt von Balford-le-Nez zu stecken.
    Aber es hatte gar keinen Sinn, Theo sagen zu wollen, wie er sich kleiden, wie er auftreten, wie er sich präsentieren sollte, wenn er die Pläne für die städtische Sanierung darlegte. »Die Leute glauben entweder an das Projekt, Großmutter, oder sie tun es nicht«, pflegte er auf ihre Vorschläge zu antworten.
    Die Tatsache, daß sie sich darauf beschränken mußte, Vorschläge zu machen, erboste sie. Dies war ihr Projekt. Dies war ihr Traum. Sie hatte es dank ihrer Vision geschafft, sich über vier Amtszeiten als Stadträtin von Balford zu halten, und es war zum Verzweifeln, daß sie sich nun - nur weil es einem einzigen Blutgefäß in ihrem Kopf eingefallen war zu platzen - schonen und es ihrem pflaumenweichen, konfusen Enkel überlassen mußte, für sie zu sprechen. Allein der Gedanke reichte, um einen neuerlichen Schlaganfall auszulösen, darum bemühte sie sich, nicht daran zu denken.
    Sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Theos Sandalen klatschten auf das Parkett. Das Geräusch wurde gedämpft, als er den ersten Perserteppich betrat. Er wechselte einige Worte mit jemandem im Vorsaal - wahrscheinlich mit Mary Ellis, dem Tagesmädchen, die so strohdumm war, daß Agatha schon wiederholt gewünscht hatte, sie wäre zu einer Zeit geboren, als man Dienstboten noch ganz selbstverständlich ausgepeitscht hatte.
    »In der Bibliothek?« hörte sie Theo sagen, dann kam er schon in ihre Richtung.
    Agatha erwartete ihren Enkel aufrecht stehend. Der Tisch war zum Tee gedeckt. Sie hatte alles gelassen, wie es war, die Sandwiches an den Ecken bereits aufgebogen, der kalte Tee mit einer trüben Haut überzogen. Theo sollte sehen, daß er wieder einmal viel zu spät kam. Sie umfaßte den Griff ihres Stocks mit beiden Händen und plazierte ihn direkt vor sich, so

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