09 - Denn sie betrügt man nicht
daß seine drei Dornen den Hauptteil ihres Gewichts tragen konnten. Ihre Arme begannen zu zittern unter der Anstrengung, die es sie kostete, so zu tun, als sei sie im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte, und sie war froh, daß sie trotz der Hitze eine langärmelige Jacke angezogen hatte. Die lose fallende Wolle verbarg wenigstens das Zittern.
Theo blieb einen Moment in der Tür stehen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und das Leinenhemd klebte ihm am Oberkörper, der schmal und sehnig war. Ohne ein Wort des Grußes ging er plötzlich zum Teetisch mit der Sandwichetagere, nahm sich drei Canapes mit Eiersalat und schlang sie ruckzuck hinunter, ohne sich anscheinend daran zu stören, daß sie längst nicht mehr taufrisch waren. Er schien nicht einmal zu merken, daß der Tee, in den er ein Stück Würfelzucker fallen ließ, seit mindestens zwanzig Minuten kalt war.
»Wenn der Sommer bleibt, machen wir am Pier und in den Spielsalons das große Geschäft«, sagte er. Aber es klang vorsichtig, als hätte er neben dem Pier anderes im Kopf. Sofort fuhr Agatha ihre Antennen aus. Doch sie sagte nichts, als er fortfuhr: »Es ist jammerschade, daß das Restaurant nicht vor August fertig wird. Dann würden wir nämlich im Nu schwarze Zahlen schreiben. Ich habe noch mal mit Gerry DeVitt wegen des Fertigstellungstermins gesprochen, aber er hat nicht viel Hoffnung, daß sich die Dinge beschleunigen lassen. Du kennst Gerry ja. Wenn man schon was macht, dann richtig. Kein SchnellSchnell.« Theo griff sich noch ein Sandwich, mit Gurke diesmal.
»Kommst du deshalb so spät?« Agatha hätte sich setzen müssen - sie spürte, wie nun auch ihre Beine zu zittern begannen -, aber sie weigerte sich, ihrem Körper nachzugeben.
Theo schüttelte den Kopf. Er kam mit seiner Tasse kalten Tees zu ihr und gab ihr einen trockenen Kuß auf die Wange. »Hallo«, sagte er. »Entschuldige, daß ich mich so flegelhaft benehme, aber ich hatte kein Mittagessen gehabt. Ist dir nicht heiß in der Jacke, Großmutter? Möchtest du eine Tasse Tee?«
»Hör auf mit dem Geglucke. Noch bin ich quicklebendig, auch wenn dir das vielleicht nicht gefällt.«
»Aber Großmutter, so ein Unsinn. Komm, setz dich. Dein Gesicht ist ganz feucht, und du zitterst. Merkst du das nicht? Komm, setz dich.«
Sie entriß ihm ihren Arm. »Hör auf, mich wie eine Halbidiotin zu behandeln. Ich setze mich, wann ich will. Wieso bist du so komisch? Was war los auf der Sitzung?«
Sie hätte selbst dort sein sollen und hätte sich das auch nicht nehmen lassen, wäre nicht vor zehn Monaten dieser Schlaganfall dazwischengekommen. Ob Hitze oder nicht, sie wäre zur Stelle gewesen und hätte dieser Bande kurzsichtiger Frauenhasser ihren Willen aufgezwungen. Es hatte unendlich viel Zeit und Mühe gekostet, um ihnen eine Sondersitzung über ihre Sanierungspläne für das Strandgebiet schmackhaft zu machen, und Theo hatte sie gemeinsam mit ihrem Architekten und einem aus Newport in Rhode Island importierten Stadtplaner präsentieren sollen.
Theo setzte sich. Einen Moment schwappte er den Tee in seiner Tasse herum, dann kippte er ihn mit einem hastigen Zug hinunter und stellte die Tasse auf den Tisch neben seinem Sessel. »Du hast es also noch nicht gehört?«
»Was denn?«
»Ich war auf der Sitzung. Es waren alle da, genau wie du es gewünscht hast.«
»Das will ich doch hoffen.«
»Aber die Sitzung ist völlig aus den Fugen geraten, und die Sanierungspläne sind überhaupt nicht zur Sprache gekommen.«
Agatha schaffte es, den erforderlichen Schritt zu machen, ohne zu schwanken. Vor Theo blieb sie stehen. »Was soll das heißen? Die Sanierungspläne waren doch der Zweck der Übung.«
»Das stimmt schon«, bestätigte er, »aber es kam zu einer - na ja, zu einer Störung, einer ziemlich drastischen Störung, könnte man sagen.« Theo spielte mit dem Siegelring, den er trug - dem Ring seines Vaters. Er wirkte betreten, und sofort erwachte Agathas Argwohn. Theo scheute jeden Konflikt, und wenn er sich jetzt so seltsam benahm, konnte der Grund nur sein, daß er ihre Erwartungen enttäuscht hatte. Es war zum Verrücktwerden! Sie hatte nichts weiter von ihm verlangt, als ihre Pläne mit der gebotenen Diplomatie zu präsentieren, und er hatte es wieder einmal geschafft, die Sache in den Sand zu setzen.
»Wir haben Opposition«, sagte sie. »Einer aus dem Stadtrat ist gegen uns. Wer ist es? Malik? Ja, es ist Malik, richtig? Dieser störrische Esel, dieser Emporkömmling! Schenkt der
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