09 - Denn sie betrügt man nicht
geschaffen. Und Zeit war bei einer Morduntersuchung alles.
Barbara Havers fand die Polizeidienststelle von Balford in der Martello Road, einer schmalen Straße mit heruntergekommenen roten Backsteinhäusern, über die man ebenfalls zum Meer gelangte. Die Dienststelle befand sich in einem dieser Häuser, einem spitzgiebeligen viktorianischen Bau mit vielen kleinen Kaminen, in dem früher gewiß einmal eine der besseren Familien der Stadt gewohnt hatte. Jetzt war es durch eine blaue Lampe gekennzeichnet, auf deren Glas in Weiß »Polizei« stand.
Als Barbara vor dem Haus anhielt, gingen die abendlichen Flutlichter an und schnitten Lichtbogen in die dunkle Fassade. Eine Frau kam gerade zur Tür heraus und blieb stehen, um den Riemen ihrer vollgepackten Umhängetasche zurechtzuschieben. Barbara hatte Emily Barlow vor anderthalb Jahren das letzte Mal gesehen, aber sie erkannte sie augenblicklich: eine große Frau in weißem ärmellosem Top und dunkler Hose, mit den breiten Schultern und dem ausgeprägten Bizeps der engagierten Triathletin, die sie war. Sie ging auf die Vierzig zu, aber ihr Körper sah aus wie der einer Zwanzigjährigen. Bei ihrem Anblick - selbst aus der Ferne und in der hereinbrechenden Dunkelheit - fühlte sich Barbara wieder wie damals, als sie zusammen ihre Kurse absolviert hatten: wie jemand, der dringend Entfettung, eine von Grund auf neue Garderobe und sechs Monate intensives Fitneßtraining brauchte.
»Em?« rief sie leise. »Hallo! Ich hab' mir doch gedacht, daß ich dich noch bei der Arbeit finden würde.«
Bei Barbaras erstem Wort hatte Emily mißtrauisch den Kopf gehoben. Jetzt aber trat sie von der Haustür weg und lief zum Bordstein. »Das gibt's doch nicht!« rief sie. »Bist du's wirklich, Barbara? Was zum Teufel tust du denn in Balford?«
Was, fragte sich Barbara, käme wohl am besten? Ich bin einem kauzigen Pakistani und seiner kleinen Tochter auf
den Fersen, weil ich verhindern möchte, daß die beiden im Knast landen. Na klar, auf so eine Geschichte würde Chief Inspector Emily Barlow ganz bestimmt groß abfahren. »Ich bin im Urlaub hier«, entschied sich Barbara zu sagen. »Ich bin gerade angekommen. Ich hab' im hiesigen Käseblättchen von dem Fall gelesen, und als ich deinen Namen sah, hab' ich mir gedacht, ich fahr' mal vorbei und schau' nach, was läuft.«
»Das hört sich aber nicht nach Urlaub an.«
»Na ja, ich kann nun mal nicht abschalten. Du weißt ja, wie das ist.« Barbara kramte in ihrer Tasche nach ihren Zigaretten, bis ihr im letzten Moment einfiel, daß Emily nicht nur nicht rauchte, sondern auch bereit war, sich mit jedem, der es tat, anzulegen. Barbara ließ die Players, wo sie waren, und holte statt dessen den Kaugummi heraus. »Meinen Glückwunsch übrigens zu der Beförderung«, fügte sie hinzu. »Wahnsinn, Em, du steigst ja hoch wie eine Rakete.« Sie schob sich den Kaugummi in den Mund.
»Die Glückwünsche könnten verfrüht sein. Wenn es nach meinem Chef geht, stecke ich bald wieder in Uniform.« Emily runzelte die Stirn. »Was ist denn mit deinem Gesicht los, Barb? Du siehst ja gräßlich aus.«
Barbara nahm sich vor, die Pflaster abzureißen, sobald sie den nächsten Spiegel vor sich hatte. »Ich hab' vergessen, mich zu ducken. Bei meinem letzten Fall.«
»Ich hoffe nur, er sieht noch schlimmer aus - falls es denn ein Er war.«
Barbara nickte. »Er sitzt jetzt wegen Mordes.«
Emily lächelte. »Recht geschieht ihm.«
»Was hast du jetzt vor?«
Emily verlagerte das Gewicht ihrer schweren Tasche und fuhr sich mit der für sie typischen Handbewegung, die Barbara so gut kannte, durch das rabenschwarze Haar, das nach Punkerart gefärbt und geschnitten war. An jeder anderen Frau ihres Alters hätte es albern ausgesehen, aber nicht an Emily Barlow. Für Albernheit hatte sie nichts übrig, weder im Aussehen noch in irgendeiner anderen Hinsicht.
»Eigentlich«, sagte sie freimütig, »sollte ich mich mit einem Freund treffen, zu einem romantischen Mondscheinspaziergang und dem, was romantischen Mondscheinspaziergängen im allgemeinen so folgt. Aber ehrlich gesagt, er hat seinen Reiz für mich so ziemlich verloren, darum hab' ich abgesagt. Mir war klar, daß er irgendwann anfangen würde, mir was von seiner Frau und den lieben Kindern vorzujammern, und mir war einfach nicht danach, ihm das Händchen zu halten, während er sich wieder mal in Schuldgefühlen suhlt.«
Das war typisch Emily. Sie hatte Sex schon seit langem in den Bereich Aerobic
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